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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Schow
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solange keine Anklage gegen ihn erhoben war. Wenn er sich darüber später beschweren würde, würde es einfach heißen, dass man ihm angeboten hätte, anzurufen, er das aber abgelehnt habe. Wenn man erst mal in einer Zelle sitzt, dann können die Bullen einem was erzählen, von wegen ob man ein Recht zu telefonieren hat oder nicht. Wenn man erst mal in einer Zelle sitzt, haben sie dich bei den Eiern, und alles, was du hast, sind die Rechte, auf die sie gerade Bock haben.
    Die meisten Leute verloren die Nerven, wenn sie verhaftet und eingesperrt wurden. Das Fernsehen hatte sie darauf nicht vorbereitet. Nur in Krimiserien klopfen die ritterlichen Hüter von Gesetz und Ordnung coole Sprüche, wenn sie ihren Gegner besiegt haben.
    Wenn der Überlebenstrieb plötzlich nicht mehr so weit funktionierte, dass man den Mund hielt, dann fand man sich plötzlich in den Schuhen – oder eher den Socken – des Typen wieder, den sie hier gerade eingelocht hatten und der wahrscheinlich auch etwas Dämliches gesagt hatte wie Ich kenne meine Rechte oder Das können sie doch nicht machen, oder – der schlimmste von allen Sprüchen – Ich bezahle schließlich Ihr Gehalt.
    MR HAPPY. Jonathan hatte die Nummer. Würde er etwas damit anfangen?
    Er erinnerte sich an Jonathans Augen, rief sie sich ins Gedächtnis zurück. Grün, aber nicht so grün wie die von Jamaica. Ein unergründlicher Bodensatz von Grün, in der Nähe der Pupillen eher gelb. Nachdenklich. Jonathan schien Cruz zu spießig, um in so was wie dem Kenilworth Arms zu wohnen. All dies Papier beim Einzug. Der Typ war ein Denker, ein Planer, die Art Mensch, die sich Strategien überlegte und Listen aufstellte, bevor sie gut überlegte, einschneidende Schritte unternahm. Er zielte, bevor er abdrückte. Er passte eher in ein Hochhaus, ein Büro mit dänischen Möbeln, einer Altersversorgung und einem Sparbuch. Er würde Jahre damit verbringen, für die Dinge zu sparen, die Leute wie Emilio oder Bauhaus mit einem Fingerschnippen bekamen
    … und alles für die Katz. Jonathan gehörte zu den richtigen Leuten; er gehörte in die bourgeoise Welt der Leute, die japanische Kleinwagen fahren und Steuern zahlen.
    Cruz dagegen lebte am Rand der Gesellschaft, ein unkontrollierbares Virus; er schlüpfte durch die Ritzen und klammerte sich an den Rand der anständigen Gesellschaft. Wie ein Raubtier lebte er von den Normalen. Publizisten schrieben unqualifizierte Artikel über das, was sie die »Drogen-Subkultur« nannten. Leute wie Jonathan lasen darüber in den Sonntagsblättern und reagierten auf eine von zwei Möglichkeiten: Wie können Leute nur so LEBEN? oder Verdammt, muss ein richtig tolles Leben sein. Wenn man es mit den Augen eines Geschäftsmannes sah, lief es alles auf das Gleiche hinaus. Profite, Verluste, feindliche Übernahmen, Spekulationen. Die junge Garde rutschte schließlich auf die Posten nach, die ihre Bosse frei gemacht hatten. Das geschäftstüchtige Amerika – wer kann sich dem schon entziehen. Cruz war stolz auf seinen Außenseiterstatus, zu dessen Risiken nun einmal auch die Zelle gehörte, in der er sich gerade befand. Gewöhnliche Leute gierten nach zweitklassigen und risikolosen Erregungen. Vielleicht war Jonathans Existenz auf der anderen Seite des Zauns ein Gegengewicht für die Tatsache, dass Cruz lebte und atmete.
    Vielleicht konnte Cruz Jonathan einmal einen Gefallen tun.
    Nach dem, was er gehört hatte, nannten die Polizisten in Oakwood ihre Festgenommenen »verdächtige Individuen«, wenn sie in Hörweite von Sergeant Barnett waren. Ansonsten waren die Einsitzenden als »Arschmaden« bekannt. Oder als »Läuse«. Es gab einen Segenswunsch im Oakwood-Revier, den man zu hören bekam, wenn man in seine Zelle geworfen wurde: »Willkommen im Club Paradies, du Laus.«
    Das war es auch, was der diensthabende Officer zu ihm gesagt hatte, als er ihm die Gittertür aufhielt. Geh auf deinen eigenen zwei Beinen hinein, Arschmade – oder ich helfe nach. Cruz hörte es jetzt hohl den Zellenflur entlanghallen, gefolgt von dem Geräusch, als der neue Gefangene an eine zweistöckige Pritsche gekettet wurde. Und dann das Einrasten der Zellentür. Die Tür da unten war nicht vergittert, sondern eine massive Stahltür, auf die dick graue Farbe aufgetragen war, wie auf die Bordwand eines Schlachtschiffes. Der Neuling war jetzt allein in seiner Einzelzelle. Ein winziges viereckiges Fenster ohne Glas. Ein dreißig Zentimeter langer Schlitz. Sonst nichts.
    Eine von den

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