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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Luft. »Weil Borkudd das Ansinnen abgelehnt hat. Und nicht nur dieses. Verstehen Sie? Da liegt der Hase im Pfeffer!« Er ließ den Brief auf den Haufen zurückflattern. »Borkudds Privatpost verschafft uns einen Eindnick von dem Ansehen, das er beim gemeinen Volk genoss, seinem Verhältnis zu den Bürgern dieser Stadt. Und wie es nicht selten der Fall ist, scheint sich sein weltliches Renommee eklatant von seinem behördlichen unterschieden zu haben. Rekten?«
    Wie aufs Stichwort hob Meister Rekten ein Schreiben, in dem er offenbar bei Hippolits Ankunft gelesen hatte. Er überflog suchend die Zeilen, dann zitierte er: »›… Sie meinem Flehen, meinen Bruder zu schonen, erneut nicht nachgekommen. Im Gegenteil: Nur Tage nach seinem körperlichen Zusammenbruch in der Achtundzwanzigsten und seiner darauffolgenden Einlieferung ins Bedrych-Klinikum ließen Sie ihn durch ministeriale Beamte von dort abholen und unter Vorlage einer hanebüchenen Gesundschreibung in die ewige Nacht zurückbringen! Als ich Erwyn vor wenigen Tagen zum letzten Mal sah, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Geben Sie Ihrem Herzen einen Ruck, Minister: Nehmen Sie Erwyn mit sofortiger Wirkung aus dem Förderdienst! Sollte ihm unter Tage etwas zustoßen, werden Sie die Folgen dafür zu tragen, haben!‹« Rekten sah mit verschwörerischer Miene vom Blatt auf. »Man bemerkt die subtile Drohung in den Worten dieser Frau?«
    Hippolit nickte schwach. Allmählich wurde ihm klar, worauf die beiden aus waren.
    »Rund die Hälfte der Briefe haben Bitten um Schonung oder Zurückstellung von Anverwandten zum Inhalt«, tönte Oskulapius. »Die andere Hälfte sind dagegen eher vom Duktus dieses Schreibens hier.« Er hielt einen Bogen hoch, der mit einer zittrigen, ehemals vermutlich eleganten Handschrift überzogen war. Hippolit erkannte die charakteristischen Flecken im Schriftbild, wo Flüssigkeit auf frische Tinte gefallen war und runde, verwischte Krater in die Buchstaben gerissen hatte – Tränen.
    »Hören Sie, was Frau Juntha, Apartment 1453, Ebene achtzehn, an den Schürfminister schreibt: ›Tot! Mein geliebter Mann ist tot-und Sie sind für sein erbärmliches Ende verantwortlich!

Zehn Briefe schrieb ich Ihnen seit Quentyns Unfall, ich flehte, ich bettelte, ihn mit seiner irreparablen Behinderung nicht mehr in den ungesicherten Stollen des Südwestsektors einzusetzen. Vergeblich! Als die frisch angelegte Passage im vergangenen Zenit einstürzte, forderte dieses Unglück fünfzehn Todesopfer-darunter mein Mann! Wie die überlebenden Brüder berichteten, kündigte sich die Katastrophe durch ein harmloses Vorbeben an. Doch Quentun war aufgrund seines kaputten Beins nicht in der Lage, den Bereich rechtzeitig zu verlassen. Und jetzt ist er tot, Minister! Er wird nie wieder zu mir und den Kindern heimkehren. Wir beide, Sie und ich, wissen, wer Quentun auf dem Gewissen hat. Beten Sie zu Thellw und seiner Güte, dass er sie davor bewahrt, mir eines Abends allein in einem finsteren Stollen über den Weg zu laufen, Sie herzloser Bastard! Mögen Sie bis ans Ende der Zeit in Blaaks stinkenden Siedekesseln schmoren!‹« Grinsend senkte Oskulapius den Brief. »Verstehen Sie jetzt, Kollege?«
    Hippolit, dem es nach wie vor fast den Magen umdrehte, wenn ihn der Mann aus Sherlepp als Kollegen bezeichnete, hatte längst verstanden. »Unzählige Bürger Barlyns hassten Borkudd, drohten ihm sogar Gewalt an.« Er verengte die Augen. »Sie haben eben den Absender dieses Schreibens verlesen. Bedeutet das etwa, es wurde nicht anonym versendet?«
    »Eine sympathische Eigenart des Barlyner Postzustellungssystems, die die Rückverfolgung versendeter Schriftstücke erheblich vereinfacht«, sprang Rekten ein. Offenbar hatte er sich vor seiner Abreise in die Zwergenstadt ausgiebig mit deren Gepflogenheiten und Bräuchen auseinandergesetzt. Impulsiv wünschte sich Hippolit, sein Assistent würde hin und wieder einen ähnlichen Beitrag zu ihrer Ermittlungsarbeit leisten.
    »Briefe und sonstige Sendungen werden nicht in einer zentralen Sammelstelle abgegeben, sondern von Beamten der Staatliehen Zustellungsbehörde direkt bei den Bürgern abgeholt. Ist eine Sendung nicht vollständig adressiert oder entspricht der Absender nicht der Anschrift, an der sie entgegengenommen wird, wird sie nicht befördert.« Ein verschmitztes Lächeln trat auf Rektens Gesicht. »Natürlich ist es möglich, anonyme Briefe zuzustellen, indem man sie eigenhändig beim Adressaten einwirft. Dies

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