Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
Vom Netzwerk:
hatte während seines nunmehr einhundertsieben Jahre währenden Lebens mehr als eine Spielhalle von innen gesehen, wenn auch stets aus offiziellen Anlässen und nie, um seinen sauer verdienten Beamtensold zu mehren oder – erheblich wahrscheinlicher – zu verlieren. Er kannte Regeln und Zubehör der meisten zugelassenen sowie diverser nicht zugelassener Glücksspiele, durch Jorges regelmäßige Berichterstattung war er auch über die neuesten Manipulations- und Betrugsmethoden auf einem ansatzweise aktuellen Stand.
    Was er indes nicht erwartet hatte, war, dass der oberste Herrscher des Staates Barlyn seine Besucher in einer Spielhalle empfangen würde, die es mühelos mit einem Kasino in Glattberg, Hammeln oder jedem anderen Nobelviertel Nophelets aufnehmen konnte.
    Der Raum, in Form und Größe ungefähr mit einem Faustballfeld vergleichbar, war vollgepackt mit den modernsten Errungenschaften der internationalen Glücksspielindustrie. Mit Zahlen und Positionsfeldern versehene -Tische fürs Kartenspiel reihten sich an Würfelplatten mit erhöhtem Rand und Zielscheiben zum Pfeil- und Scheibenwerfen. Hippolit sah einen Rondelltisch mit eingelassenem Drehrad, an dem man Geld auf vier Elfenbeinkugeln setzen konnte, welche in das rotierende Rund gegeben und deren mit Ziffern versehene Endpositionen anschließend gegeneinander verrechnet wurden. Ein Stück weiter war im gelblichen Licht großer, stoffbespannter Deckenlampen eine groteske, grob menschenförmige Gestalt zu erkennen, die vor einem Spielbrett mit schwarzen und weißen Spielfiguren saß – ein mechanisch-thaumaturgischer Strategomat von der Art, wie ihn Hippolits Kollege, Meister Rachnid aus Lesuk, Vorjahren entwickelt hatte. Weiter hinten wartete ein ausladender, mit grünem Filz bezogener Polliot-Tisch darauf, dass jemand mittels der bereitliegenden Stoßstäbe bunte Kugeln in eines der vier Torfelder beförderte.
    Ein Umstand unterschied Lordprotektor Hindrychs Privatkasino allerdings von allen, die Hippolit bisher gesehen hatte. Wo andernorts in den Gängen zwischen den Vergnügungsmöglichkeiten drangvolle Enge herrschte, man sich mithilfe der Ellenbogen einen Weg durch Myriaden von Vergnügungssüchtigen bahnen musste, war hier – nichts. Außer Wymmler und Hippolit sowie einigen Lakaien, die nahezu unsichtbar im Schatten der Wände ausharrten, hielten sich nur vier Personen in der Halle auf. Drei davon – Hippolit erkannte Meister Alprecht, Meister Rekten sowie den unvermeidlichen Oskulapius – standen in ehrfurchtsvollem Abstand um eine vierte Gestalt gruppiert, die ihrerseits gebückt über einem schrägen, aus Glas und Metall gefertigten Spieltisch hing, aus dem in unregelmäßigen Abständen klingelnde und scheppernde Laute drangen.
    »Scheinen gerade rechtzeitig zu kommen«, flüsterte Wymmler und hielt durch das Labyrinth von Spieltischen auf die kleine Gruppe zu. »Alprecht hat die beiden offenbar just eingelassen.«
    Unauffällig näherten sich Hippolit und der Polizeipräsident der kleinen Gruppe. Als sie ehrfürchtig ein knappes Dutzend Schritte entfernt zwischen einem Doppelschädel-Tisch und dem unheimlichen Strategomaten stehen blieben, hatte sie noch keiner der Anwesenden bemerkt.
    »… Herrn Oskulapius die Ehre erweisen, sich seine Rekonstruktion der Tatumstände jenes grässlichen Verbrechens anzuhören, zu dessen Klärung wir nach ihm geschickt haben«, kam Alprecht soeben zum Ende und sah seinen Vorgesetzten abwartend an.
    Lordprotektor Hindrych war ein kleiner, drahtiger Zwerg mit einer gewaltigen, von schwarzen Mitessern übersäten Nase. Die darauf klemmenden Augengläser waren rahmenlos, blockdicke Scheiben an dünnen, fast unsichtbaren Drahtbügeln. Sein blondes Haupthaar trug er zu einem breiten Zopf geflochten, ebenso den unterarmlangen Kinnbart. Eine rote Gesichtshaut von der Beschaffenheit feinen Schleifpapiers wies ihn als regelmäßigen Trinker aus. Mit konzentrierter Miene starrte er durch die Deckscheibe des vor ihm stehenden Spieltisches, die Zeigefinger auf je einen edelsteinverzierten Knopf zu beiden Seiten des Rahmens gelegt.
    Hippolit folgte dem starren Blick des Zwergenherrschers interessiert. Unterhalb der Scheibe, auf einer zum Spieler hin abfallenden Fläche, war eine Art miniaturisiertes Schlachtfeld nachgebildet: Winzige Krieger standen vor kleinen Baumgrüppchen, hie und da erhoben sich zierliche Katapulte und winzige Belagerungstürmchen. Inmitten des kunstvollen Dioramas schoss eine silbern blitzende

Weitere Kostenlose Bücher