Der Schaedelschmied
dieser schwerwiegenden Verkündung ruhten für einen Moment sämtliche Blicke auf Lordprotektor Hindrych. Dessen einzige Reaktion bestand darin, mit wildem Gesichtsausdruck eine neue Schusserkugel ins Spiel zu bringen.
Schließlich nickte Meister Alprecht, noch immer lächelnd, und sagte: »Ich fürchte, das müssen Sie dem Gütigen Lordprotektor ein wenig näher erklären, Herr Oskulapius.«
»Gern. Rekten? Extemporieren Sie!« Oskulapius machte eine beiläufige Geste in Richtung seines Assistenten, der sein Büchlein hob und vorzulesen begann.
»Im Zuge aufwendiger Recherchen konnte man ermitteln, dass Minister Borkudd als Folge der jahrelangen rücksichtslosen Ausbeutung, welcher er die im Minenbau tätigen Zwerge zum Zwecke der Gewinnoptimierung ausgesetzt hatte, unter starken Schuldgefühlen litt. Das Wissen, durch seine unverantwortliche Handlungsweise unzählige Familien unglücklich gemacht, ja zerstört zu haben, resultierte in anhaltender Niedergeschlagenheit. Nach einer fast zweijährigen Phase schwerer Depressionen vermochte der Schürfminister das Leid, von dem die tagtäglich eingehenden Briefe verwitweter Arbeiterfrauen kündeten, nicht mehr zu ertragen. Am späten Abend des vergangenen Lorgonstags, nach Verfertigung der fälligen Zenitbilanz, verfasste er einen Abschiedsbrief an seinen Vorgesetzten, den Gütigen Lordprotektor Hindrych …« Rekten hielt kurz inne und schielte über den Rand seines Notizbuchs hinweg, auf eine wie auch immer geartete Reaktion des Zwergenherrschers hoffend. Als er sah, dass Hindrych nach wie vor mit zuckenden Fingern und aus dem Mundwinkel ragender Zungenspitze über dem Spielautomaten hing, fuhr er fort: »Im Auftrag von Herrn Oskulapius nahm man an dem in Rede stehenden Dokument eine Schriftüberprüfung vor, die belegte, dass der Abschiedsbrief von Minister Borkudd höchstselbst aufgesetzt wurde. Eine anschließende Affinitätsprüfung ergab, dass dazu ein auf seinem Schreibtisch gefundener Federkiel verwendet worden war.«
Unwillig massierte sich Hippolit seine pochende Schläfe. Was waren die beiden nur für Idioten! Dass der Abschiedsbrief von der Hand des Toten stammte, hatte nie in Zweifel gestanden.
»Herr Borkudd schloss sich in seinem Büro im Schürfministerium ein und tötete sich auf eine spektakuläre Art und Weise, die er bei den von ihm verübten Vergehen für angemessen hielt«, fuhr Rekten fort.
»In Anbetracht der auf der Hand liegenden Unmöglichkeit, sich selbst siebenundzwanzig Stahlnägel durch den Schädelknochen zu treiben …«, ergriff Oskulapius wieder das Wort.
»Achtundzwanzig. Es waren achtundzwanzig Stahlnägel«, warf sein Assistent halblaut ein.
»… musste nun selbstredend der Ablauf der Tat rekonstruiert werden«, beendete Oskulapius ungerührt seinen Satz. Er warf einen triumphierenden Seitenblick in Hippolits Richtung bevor er noch lauter und näselnder fortfuhr: »Uns war sofort klar, dass allein ein Zwinger Borkudd in die Lage versetzt haben konnte, die Tat eigenhändig auszuführen, eine thaumaturgische Technik, mittels derer ein Individuum noch über den Hirntod hinaus zur Ausübung physischer Tätigkeiten veranlasst werden kann.«
Hippolit sog überrascht Luft zwischen den Zähnen ein. Konnte es sein, dass der Mann aus Sherlepp ihn und Jorge bei ihrer nächtlichen Unterredung belauscht hatte? Nein, so tief würde selbst Oskulapius nicht sinken. Und auf die naheliegende Idee mit dem Zwinger war schließlich sogar Jorge gekommen, nachdem Hippolit ihm dessen Wirkungsweise auseinandergesetzt hatte.
»Wie Sie wissen, war Minister Borkudd nicht versiert«, warf Meister Alprecht höflich ein. »Wie konnte er dennoch einen thaumaturgischen Handlungsbann über sich wirken?«
»Ganz einfach!« Oskulapius riss sich die Pfeife aus dem Mund und deutete mit dem Stiel zuerst auf den Berater des Zwergenherrschers, dann hinüber zu Hippolit. »Er hatte natürlich einen Komplizen! Rekten?«
»Unter normalen Umständen hätte es vermutlich geraume Zeit in Anspruch genommen herauszufinden, welcher Teil des thaumaturgisch geschulten Stabs Barlyns den Schürfminister auf eigenes Geheiß mit dem fatalen Zwinger belegte. Doch das Schicksal kam Herrn Oskulapius zu Hilfe – das Schicksal in Form des schlechten Gewissens eines Thaumaturgen namens Ruperth.«
»Jener Meister Ruperth hatte, wie eine Befragung seiner Witwe ergab, vor Dekaden gemeinsam mit Borkudd die Barlyner Volksschule besucht«, übernahm Oskulapius wieder. »Zwar hatten
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