Der Schakal
als er in der letzten Juliwoche auf seiner Erkundungsreise hier war. Wenn er die Erfolgschancen seines Vorhabens oder die Fluchtmöglichkeiten auch nur im geringsten bezweifelte, wäre er längst aus der Sache ausgestiegen.
Er muß also noch irgend etwas in petto haben. Er konnte von selbst darauf kommen, daß es einen Tag im Jahr gibt - den Tag der Befreiung —, an welchem es dem General der eigene Stolz, gleichgültig, welche Gefahr für sein Leben damit verbunden sein mag, strikt verbietet, zu Hause zu bleiben.Er dürfte sich auch darüber im klaren sein, daß die Sicherungsmaßnahmen, besonders seit uns seine Anwesenheit zur Kenntnis gelangt ist, so sehr verstärkt worden sind, wie Sie, Monsieur le Ministre, es soeben geschildert haben. Und doch hat er nicht aufgegeben.«
Lebel stand auf und begann höchst protokollwidrig im Arbeitszimmer des Ministers auf und ab zu gehen, während er in seinen Überlegungen fortfuhr:
»Er hat nicht aufgegeben. Und er wird auch nicht aufgeben. Warum? Weil er überzeugt ist, daß er seinen Auftrag erledigen und mit heiler Haut davonkommen kann. Folglich muß er auf irgendeine Möglichkeit verfallen sein, an die noch niemand gedacht hat. Vielleicht eine Bombe, die durch Fernzündung zur Explosion gebracht wird, oder ein entsprechendes Gewehr. Aber eine Bombe kann zu leicht entdeckt werden, und damit wäre das Vorhaben gescheitert. Also ist es eine Schußwaffe. Deswegen mußte er im Wagen nach Frankreich einreisen. Das Gewehr war im Wagen, vermutlich ans Chassis geschweißt oder irgendwie in der Auskleidung der Karosserie versteckt.«
»Aber mit einem Gewehr kommt er doch nie an de Gaulle heran!« rief der Minister aus.
»Niemand wird in seine Nähe gelassen, außer einigen wenigen ausgesuchten Leuten, und die werden vorher auf Waffen durchsucht. Wie sollte ein Mann mit einem Gewehr jemals durch die Absperrung kommen?«
Lebel unterbrach seine Wanderung durchs Zimmer und blieb vor dem Schreibtisch des Ministers stehen. Er zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß es nicht. Aber er ist überzeugt, daß er es kann, und bislang hat er recht behalten, obwohl er einiges Pech gehabt hat -aber auch einiges Glück. Obwohl er von zwei der besten Polizeiapparate der Welt ausgemacht und gejagt wurde, ist er hier. Mit einem Gewehr, in einem Schlupfwinkel, womöglich mit einem wieder anderen Gesicht und mit einer weiteren Identitätskarte. Eines ist sicher, Monsieur le Ministre. Wo immer er auch ist, morgen muß er auftauchen. Und sobald er das tut, muß er als das erkannt werden, was er ist. Da gibt's nur noch eins - die alte Detektivregel, daß man die Augen offenhalten muß. Mehr, Monsieur le Ministre, habe ich, was die Sicherheitsvorkehrungen betrifft, nicht vorzuschlagen. Sie scheinen mir in der Tat umfassend, ja überwältigend zu sein. Ich kann Sie nur bitten, mich bei jeder der Veranstaltungen umherstreifen und versuchen zu lassen, ob ich ihn entdecke. Das ist alles, was jetzt noch übrigbleibt.«
Der Minister war enttäuscht. Er hatte auf irgendeine Eingebung, eine brillante Idee des Detektivs gehofft, der von Bouvier noch vor vierzehn Tagen als der beste in ganz Frankreich bezeichnet worden war. Und dieser Mann wußte ihm nichts anderes zu sagen, als daß er die Augen aufhalten müsse. Der Minister erhob sich.
»Aber selbstverständlich«, sagte er kalt. »Bitte tun Sie das, Monsieur le Commissaire. «
Später am gleichen Abend begann der Schakal in Jules Bernards Schlafzimmer mit seinen Vorbereitungen. Neben die ausgetretenen schwarzen Schuhe hatte er die grauen Wollsocken, die Hose und das kragenlose Hemd, den langen Militärmantel mit einer Reihe angehefteter Orden und Medaillen sowie das schwarze beret des Kriegsveteranen André Martin auf das Bett gelegt. Die in Brüssel gefälschten Papiere, die dem Träger der ausgebreiteten Kleidungsstücke eine neue Identität verschafften, warf er dazu. Auch den leichten Gurt aus dichtgewebtem Material, den er sich in London hatte anfertigen lassen, sowie die fünf Stahlröhren, die wie aus Aluminium aussahen und den Kolben, das Schloß, den Lauf, das Zielfernrohr und den Schalldämpfer des Gewehrs enthielten, legte er auf das Bett, desgleichen den schwarzen Gummipfropf, in welchem die fünf Explosivgeschosse steckten. Er entnahm dem Propf en zwei der Geschosse und knipste ihnen mit der Kneifzange aus dem Handwerkskasten unter dem Küchenausguß vorsichtig die Spitze ab. Dann holte er die beiden in den Geschossen befindlichen
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