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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal
Autoren: Frederick Forsyth
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der Schakal den eingebauten Garderobenschrank in der Diele, hinter dessen Tür Jules Bernard mit gebrochenen Augen, verzerrten Gesichtszügen und heraushängender Zunge ins Dunkel starrte. Der Schakal richtete sich aufeine zweitägige Wartezeit ein, nahm ein Magazin aus dem Zeitschriftenständer im Wohnzimmer und machte es sich bequem.
    In diesen zwei Tagen wurde ganz Paris gründlicher durchkämmt als je zuvor in seiner Geschichte. Jedes Hotel, vom elegantesten und teuersten bis hinunter zur schäbigsten Absteige, wurde von Polizeibeamten aufgesucht; jede Gästeliste wurde überprüft; jede Pension, jedes Boardinghouse, jede Herberge Zimmer für Zimmer durchsucht. Bars, Restaurants, Nachtklubs, Kabaretts und Cafés wurden von Razzien heimgesucht, bei denen Detektive Kellnern, Barmixern und Rausschmeißern das Photo des Gesuchten vorhielten. Die Häuser und Wohnungen aller polizeinotorischen OAS-Sympathisanten wurden durchsucht. Man sistierte mehr als siebzig junge Männer, die unleugbar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Mörder aufwiesen, um sie nach langwierigen Verhören mit den in solchen Fällen üblichen Entschuldigungen wieder freizulassen - und das auch nur, weil sie allesamt Ausländer waren und Ausländer höflicher behandelt werden mußten als Einheimische. Auf den Straßen, in Taxis und Bussen wurden Hunderttausende zum Vorweisen ihrer Papiere aufgefordert, auf allen Ausfallstraßen Sperren errichtet und Nachtvögel alle fünfhundert Meter angehalten und nach dem Ausweis befragt.
    In der Unterwelt waren die Korsen auf ihre Weise tätig. Sie tauchten in den Schlupfwinkeln der Zuhälter, Prostituierten, Taschendiebe, Strolche, Schwindler und Hehler auf und ließen keinen Zweifel daran, daß jeder, der Informationen verschwieg, mit unnachsichtigen Strafmaßnahmen von Seiten der Union zu rechnen hatte.
    Vom ranghöchsten Kriminaldirektor über den altgedienten Landgendarmen bis zum einfachsten Soldaten hatte der Staat insgesamt hunderttausend Mann aufgeboten. Die auf fünfzigtausend Mitglieder geschätzte Unterwelt behielt alle in ihren Gefilden auftauchenden neuen Gesichter im Auge. Wer nächtens oder bei Tag in der Fremdenverkehrsindustrie tätig war, wurde zur Wachsamkeit angehalten. Jugendlich aussehende Detektive unterwanderten Debattierklubs, studentische Vereinigungen und Gruppen aller Schattierungen. Agenturen, die Adressen für Austauschstudenten vermittelten, wurden aufgesucht und zur Mitarbeit vergattert.
    Am 24. August bekam Claude Lebel, der in seiner alten Strickjacke und geflickten Hosen in seinem Garten gewerkelt hatte, spätnachmittags einen Anruf aus dem Innenministerium. Der Minister bestellte ihn zu einer Unterredung in sein privates Arbeitszimmer. Um 18 Uhr holte ihn ein Wagen ab.
    Lebel bekam einen Schreck, als er den Minister sah. Der dynamische Chef des gesamten französischen Sicherheitsapparats wirkte müde und abgespannt. Er schien innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden merklich gealtert zu sein, und um die Augen hatte der Mangel an Schlaf viele feine Linien eingezeichnet. Er forderte Lebel auf, in dem Sessel vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, und setzte sich seinerseits auf den Drehstuhl, von dem er sonst gern mit einer halben Wendung nach links auf die Place Beauvau hinausblickte. Heute freilich schaute er kein einziges Mal aus dem Fenster.
    »Wir können ihn nicht finden«, sagte er unvermittelt. »Er ist verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Wir sind überzeugt, daß die OAS-Leute ebensowenig wie wir wissen, wo er ist. In der Unterwelt hat man ihn auch nicht gesichtet. Die Union Corse hält es für ausgeschlossen, daß er noch in der Stadt ist.«
    Er schwieg, seufzte und richtete den Blick auf den ihm gegenübersitzenden kleinen Detektiv, der mehrmals blinzelte, aber nichts sagte.
    »Ich glaube, wir haben uns nie richtig klargemacht, was für ein Mann das ist, den Sie da die letzten beiden Wochen hindurch verfolgt haben. Was meinen Sie?«
    »Er ist hier, irgendwo«, sagte Lebel. »Was ist für morgen vorgesehen?«
    Der Minister sah aus, als leide er körperliche Schmerzen. »Der Präsident weigert sich, das vorgesehene Programm für die nächsten Tage auch nur im geringsten abzuändern. Ich habe heute morgen mit ihm gesprochen. Er war höchst ungehalten. Also bleibt es morgen bei dem bereits veröffentlichten Veranstaltungsprogramm. Um 10 Uhr wird er die Ewige Flamme unter dem Are de Triomphe neu entfachen, um elf die Heilige Messe in Notre-Dame besuchen, um 12
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