Der Schatten des Chamaeleons
dann in Sandhurst. Nach dem Motto, Höflichkeit ziert den Mann - all der ganze Quatsch. Aber ich habe nie verstanden, warum Frauen so beschissen unhöflich sein dürfen.«
Jackson wurde neugierig. Nicht zuletzt, weil sie mit der Zeit gemerkt hatte, wie puritanisch-streng Acland war. Er gebrauchte Kraftausdrücke sonst nur selten. »Sie finden, ich war unhöflich?«
»Ja.«
»Ich komme aus einer anderen Schicht. Sie sehen vor sich die Letzte eines alten Geschlechts von Malochern aus der untersten Arbeiterschicht, die schönstes Cockney gesprochen und ihr Leben lang gerade so über die Runden gekommen sind.« Sie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Meine Vorfahren hatten nicht viel Anlass, irgendjemandem zu danken. Denen war von Geburt an eingeimpft, dass sie privilegierten Leuten wie Ihnen gegenüber zu katzbuckeln hatten.«
»Dafür haben Sie sich aber ganz gut gemacht«, sagte er kurz. »Ihre Malocher hören sich wenigstens echt an. Ich weiß nicht mal, was Privilegien sind, außer dass man mit acht aufs Internat kommt, damit die Eltern damit angeben können. In meiner Familie ist der Schein alles. Solange die Fassade stimmt, ist es egal, wie viel Dreck unter den Teppich gekehrt wird.«
»Was für Dreck?«
»Alles, was entlarvend wäre. Der Vater meines Vaters war Alkoholiker, aber meine Mutter erzählte jedem, der es hören wollte, er hätte Parkinson. Ich hatte eine Heidenangst vor ihm, wenn er seine Wutanfälle bekam. Als ich zehn war, hat er einmal vor meinen Augen einen unserer Hunde solange getreten, bis er tot war. Ich wagte es nicht, etwas zu sagen - aber ich habe ihn danach gehasst.«
»Hat er Ihre Großmutter geschlagen?«
»Wahrscheinlich. Sie hat ihn nach der Geburt meines Vaters verlassen. Ich habe sie nie kennengelernt - mein Vater, glaube ich, auch nicht.«
»Und die Eltern Ihrer Mutter?«
Acland schüttelte den Kopf. »Die kenne ich gar nicht. Soviel ich weiß, kam es um die Zeit, als sie meinen Vater heiratete, zu einem massiven Zerwürfnis. Sie sind nach Kanada ausgewandert - aber ich weiß nicht, was zuerst kam, das Zerwürfnis oder die Emigration. Meine Mutter bekam jedes Mal einen Anfall, wenn man sie nur erwähnte - darum spricht inzwischen niemand mehr von ihnen.« Er beugte sich vor und massierte seine Schläfen. »Sie würde wahrscheinlich -« Er brach unvermittelt ab.
»Was?«
»Nichts.«
»Verstehen Sie sich mit Ihrer Mutter?«
Er antwortete nicht.
»Heißt das nein?«
»Sie muss immer ihren Kopf durchsetzen. Vielleicht hat das damals zu dem Krach mit ihren Eltern geführt. Mein Vater war ihnen als Ehemann für ihre Tochter wahrscheinlich nicht gut genug, und so haben sie versucht, die Heirat zu unterbinden.«
»Was hätten sie denn an ihm aussetzen können?«
»Vielleicht glaubten sie, er würde wie sein Vater werden.«
»Ist er das?«
Acland schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Er hat sich sein Leben lang bemüht, die Fehler meines Großvaters wiedergutzumachen.«
»Wie?«
»Er hat eine Riesenhypothek auf das Haus und den Hof genommen, um die Schulden seines Vaters zu bezahlen und den Hof wieder in Schuss zu bringen. Er hatte Milchvieh, bis die Milchpreise ins Bodenlose fielen und er feststellte, dass es ihn
mehr kostete, das Zeug zu produzieren, als er dann dafür bekam. Damals wollte ich ihn überreden zu verkaufen, aber -« Mit einem Schulterzucken brach er ab.
»Was?«, fragte Jackson.
»Stattdessen stellte er auf Schafe um, dieser arme Irre. Der Hof ist völlig verschuldet. Wenn er die Hypotheken ablösen würde, könnte er sich gerade noch einen billigen kleinen Backsteinkasten in irgendeiner Null-Acht-Fünfzehn-Siedlung leisten.«
»Und was ist daran auszusetzen?«
»Das würde meiner Mutter nicht passen.«
Jackson lächelte dünn. »Nicht stattlich genug?«
»So ungefähr. Es wäre den Aufwand sowieso nicht wert. Sie hätte sofort Streit mit sämtlichen Nachbarn.« Er starrte zur Windschutzscheibe hinaus. »Mit den Schafen verdient mein Vater gerade so viel, dass sie es sich erlauben können, auf dem Hof zu bleiben. Aber es steht alles auf sehr wackeligen Füßen.«
»Weiß Ihre Mutter das?«
»Ich bezweifle es. Sie würde meinem Vater das Leben zur Hölle machen.«
Jackson dachte an das Gespräch, das sie am Morgen mit Willis geführt hatte, als sie ihn angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, dass Charles Acland bislang noch nicht aufgetaucht war. »Kann es sein, dass er zu seinen Eltern gefahren ist?«, hatte sie gefragt.
»Das kann ich
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