Der Schatten des Chamaeleons
geirrt? Angenommen, er hat das Handy einer Frau gestohlen? Würde das etwas ändern?«
»In welcher Hinsicht?«
»Frauen sind sehr auf ihre Handtaschen fixiert. Wenn meine Frau etwas verstecken wollte, vor allem etwas Kleines, würde sie es in ihrer Handtasche vergraben und mit sich herumtragen.«
Der Fallanalytiker zuckte mit den Schultern. »Wie sicher können Sie sein, dass der Junge, der das Handy gestohlen hat, die Wahrheit gesagt hat?«
»Überhaupt nicht.«
»Dann sollten Sie noch einmal mit ihm reden, bevor Sie wilde Spekulationen aufstellen. Der einleuchtendste Grund, warum jemand seine Trophäen mit sich herumschleppt, wäre der, dass er sonst keinen Platz für sie hat.«
»Und das heißt?«
»Ihr Mörder könnte ein Obdachloser sein.«
Es hatte vierundzwanzig Stunden gedauert, ein neues Gespräch mit Ben Russell anzusetzen, und Jones’ Geduld war am Ende, als der Anwalt des Jungen sich endlich mit einem Termin am Mittwochabend um fünf Uhr einverstanden erklärte.
»Kriminelle haben hier im Land zu viele gottverdammte Rechte«, knurrte er Beale an, als sie zum Krankenhaus fuhren. »Der Junge hätte uns die Geschichte sofort erzählt, wenn er nicht ständig seine Wachhunde um sich hätte.«
»Erzählt hätte er uns sicher etwas«, stimmte Beale zu, »aber ich bezweifle, dass er ehrlicher gewesen wäre als bisher.« Er brach ab, als ein Anruf für den Superintendent einging, und lächelte, als der die Faust in die Höhe stieß. »Was gibt’s?«
»Tutting ist aufgewacht.« Er tippte die Nummer seiner Sekretärin. »Lizzie? Planänderung. Rufen Sie Ben Russells Anwalt an und sagen Sie ihm, dass wir uns zu dem Gespräch mit dem Jungen verspäten. Ja - ja -, ich weiß, er ist eine Nervensäge. Sagen Sie ihm einfach, es ist mir egal, ob er da ist oder nicht. Der Junge lügt, dass sich die Balken biegen, und das weiß er so gut wie ich.«
Jackson fuhr erschrocken zusammen, als sie zu ihrem Wagen ging und Acland plötzlich aus einer dunklen Nische zwischen zwei Häusern heraustrat.
Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er sich am Vortag in den Docklands von ihr getrennt hatte, und nach seinem unrasierten Gesicht und dem zerknitterten Hemd zu urteilen, hatte er auf der Straße genächtigt. Ins Pub war er jedenfalls nicht zurückgekommen.
»Was soll das, zum Teufel?«, fragte sie ärgerlich.
Er trug seine Jacke lässig über die Schulter geworfen, und das passte gar nicht zu ihm. »Ich würde gern mitfahren«, sagte er.
»Wo sind Sie gewesen? Was haben Sie getrieben?«
»Nur rumgelaufen.«
»Dreißig Stunden lang?«, fragte sie schneidend. »Das glauben Sie doch selbst nicht. Daisy und ich haben uns Riesensorgen gemacht. Sie können froh sein, dass die Polizei Sie nicht sprechen wollte. Sie sollten jederzeit im Pub erreichbar sein.«
»Tut mir leid.« Er ging um den BMW herum und öffnete ihr die Tür, während sie ihre Tasche in den Kofferraum legte. »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie sich Sorgen machen würden, hätte ich es nicht getan.«
»Ich habe mir keine Sorgen gemacht. Ich bin sauer.«
»Was auch immer.« Er zog die Tür weit auf. »Es war Ihr freier Abend. Ich dachte, Sie und Daisy wollten mal ein bisschen allein sein. Sie macht ja keinen Hehl daraus, dass sie auf meine Anwesenheit keinen Wert legt.«
»Ach, jetzt ist Daisy schuld?« Grimmig ging Jackson hinter ihm her. Sie riss ihm die Tür aus der Hand. »Steigen Sie ein«, fuhr sie ihn an, »und hören Sie auf, sich wie der kleine Lord zu benehmen. Für mich war der Typ immer schon ein ekelhafter kleiner Schleimer in einem idiotischen Anzug mit einer absolut dämlichen Mutter - und auf so was falle ich nicht rein.«
Aber irgendwie tat sie es doch. Es kam ihr jedenfalls nicht in den Sinn, darüber nachzudenken, warum er die Tür hinter ihr öffnete und seine Jacke auf den Rücksitz warf.
Und sie fragte auch nicht weiter nach, was er getan hatte. Sie kamen vielmehr auf seine Mutter zu sprechen, wobei Jackson später nicht mehr sagen konnte, ob sie oder Acland das Gespräch darauf gelenkt hatte. Sie versuchte schon seit einigen Tagen, ihn auf seine Familie anzusprechen, und seine plötzliche Redseligkeit überraschte sie.
»Wenn eine dämliche Person als Mutter notwendig ist, um
einen kleinen Lord hervorzubringen, dann verwechseln Sie mich mit einem anderen«, bemerkte er wie nebenbei, während er sich anschnallte. »Dämlich ist meine Mutter weiß Gott nicht. Mir wurde Höflichkeit eingebläut - erst in der Schule und
Weitere Kostenlose Bücher