Der Schatten des Chamaeleons
Vater hat es schon vor langer Zeit aufgegeben, sie zu provozieren.«
Jackson fand die Ausdrucksweise interessant. »Aber Sie sagten doch, sie hätten dauernd gestritten.«
»Als ich klein war - später nicht mehr.«
»Aber Sie haben doch gesagt, dass die Fetzen geflogen wären? Das waren gewaltsame Auseinandersetzungen, die Sie mit angehört haben?« Sie wartete einen Moment. Als er nicht antwortete, fuhr sie zu sprechen fort. »Wer hat geschlagen?« Schweigen. »So wie Sie sich ausgedrückt haben, scheint Ihre Mutter unbeherrschter zu sein als Ihr Vater.«
»Das kann man sagen.«
»Haben Sie ihr Temperament geerbt?«
Er wandte sich zu ihr um. »Ich habe nichts von meiner Mutter«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
»Na schön, dann schlagen Sie also Ihrem Vater nach und gehen Konfrontationen aus dem Weg?«
»Ja«, antwortete er kurz.
»Aber der Schlägerei mit Raschid Mansur sind Sie nicht aus dem Weg gegangen«, sagte sie. »Auf den sind Sie los gegangen, dass die Fetzen flogen.«
»Er hätte mich in Ruhe lassen sollen.«
»So, wie Ihr Vater jetzt Ihre Mutter in Ruhe lässt?«
Keine Antwort.
»Verwechseln Sie da nicht etwas?«, stichelte Jackson gutmütig. »Sind Sie sicher, dass nicht Ihre Mutter diejenige war, die provozierte, und Ihr Vater derjenige, der die Beherrschung verlor und zuschlug? Wenn er heute die Konfrontation meidet, tut er das beinahe mit Sicherheit, weil er inzwischen gelernt hat, seinen Zorn zu zügeln.«
Acland beugte sich vor und drückte Daumen und Zeigefinger gegen seinen Nasenrücken. »Er war eine Memme. Er wagte es gar nicht, aus der Haut zu fahren«, sagte er mit Verachtung. »Einmal musste er mit bluttriefendem Arm allein zur Notaufnahme fahren, nachdem sie ihn mit dem Messer angegriffen hatte. Als er zurückkam, erzählte er mir, er wäre irgendwo am Stacheldraht hängen geblieben. Es war erbärmlich. Immer hat er Entschuldigungen für sie gefunden.«
»Vielleicht hat er das Ihnen zuliebe gemacht.«
»Danach hat er darauf geachtet, dass alles sich immer hinter verschlossenen Türen abspielte - und etwas später hat er mich ins Internat gesteckt. Wir sind ständig um meine Mutter herumgetanzt. Alles musste so sein, wie sie es sich in den Kopf gesetzt hatte.«
»Und dafür verachten Sie ihn?«
»Ja.« Krampfhaft presste er die Ballen seiner Hände gegeneinander.
Im Stillen fühlte Jackson mit ihm. Fehlende Achtung vor dem Vater, dem sanftmütigeren Elternteil, wäre eine Erklärung für so manchen Zug an ihm, dachte sie. Sie überlegte, ob die Probleme mit seiner Mutter nicht sogar einer verkappten Bewunderung für ihre Stärke entsprangen. »Aber es ist sehr schwer, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, Charles. Wenn Ihr Vater mit einem Vater aufwuchs, der getrunken und seine Frau geschlagen hat, muss es ihn ungeheure Beherrschung gekostet haben, von Ihrer Mutter eine ähnliche Behandlung hinzunehmen. Die meisten Leute würden ihn dafür bewundern.«
»Aber ich nicht. Es gefällt ihm doch offensichtlich, mit Füßen getreten zu werden, sonst hätte er sie nicht geheiratet.«
»Vielleicht hat er nicht gewusst, wie sie ist - es sei denn, ihre Eltern haben versucht, ihn zu warnen.« Jackson sah ihn fragend an. »Vielleicht hat sie sich deshalb mit ihnen überworfen. Aber selbst wenn sie ihn gewarnt haben, wird er ihnen nicht geglaubt haben. Die Beziehung, die sie zu ihren Eltern hatte, wird ganz anders gewesen sein als die zu Ihrem Vater.«
Acland schüttelte störrisch den Kopf. »Er wusste, wie sein Vater war. Wenn er nur ein einziges Mal den Mumm aufgebracht hätte, ihm entgegenzutreten, hätte er das bei meiner Mutter vielleicht auch getan.«
»Haben Sie so Ihre Beziehung mit Jen zu führen versucht?«
Die Frage blieb unbeantwortet.
»Sie können sich offenbar nicht entscheiden, an wem Sie sich orientieren wollen, Mutter oder Vater«, fuhr Jackson fort. »Ob es wichtig ist zu beweisen, wer die Hosen anhat - oder ob man gehen soll, wenn die Gewalt außer Kontrolle gerät. Haben Sie es genossen, Jen zu quälen?«
Acland starrte sie einen Moment an. »Nicht so sehr, wie ich es genossen habe, meine Mutter zu quälen«, antwortete er, bevor er sich abwandte und zum Fenster hinausschaute.
19
Bleich und mit geschlossenen Augen ähnelte Walter Tutting, an Infusionsschläuche und Monitore angeschlossen, mehr einem Marmorbild als einem Menschen aus Fleisch und Blut. Nur die kaum wahrnehmbaren Atembewegungen seiner Brust unter der Bettdecke
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