Der Schatten des Chamaeleons
gar nicht, dass ich recht habe.«
Jones nickte. »Tatsache ist, dass unser Freund mit der Augenklappe es nicht gewesen sein kann. Das wissen wir mit Sicherheit. Walter Tutting lügt also auch in Bezug auf die Person des Täters.« Er sah, wie die Frau verärgert die Lippen zusammenkniff. »Nichts für ungut. Ich wollte Sie nicht reinlegen, es hat mich nur interessiert, warum Sie diesen Teil von Mr. Tuttings Aussage überzeugend fanden.«
»Er schien nicht mit Angst besetzt zu sein.«
»Bis der Superintendent ihn fragte, ob er etwas gesagt oder getan habe, um den Überfall herauszufordern«, mischte sich Beale ein. »Kurz danach hat er angefangen, von Heuschrecken zu reden. Haben Sie eine Ahnung, was das sollte?«
Die Schwester schüttelte den Kopf. »Sie sind bei mir an der falschen Adresse. Ich hole einen der Fachärzte. Die können Ihnen weit mehr sagen als ich.« Sie wollte gehen, aber Jones trat ihr in den Weg.
»Eine letzte Frage - und keine Sorge«, sagte er, beschwichtigend die Hand hebend, »ich möchte nur Ihre persönliche Meinung, kein Fachgutachten. Sie haben Walter Tuttings Tochter als Drachen bezeichnet. Kann es sein, dass er auch hinsichtlich des Täters lügt, weil er Angst vor seiner Tochter hat? Und was für ein Täter müsste das sein? Offensichtlich ist diese Person für die Tochter solch ein rotes Tuch, dass Walter Tutting lieber vorgibt, es wäre jemand anders gewesen?«
Sie sah auf ihre Uhr. »Wenn Sie noch ein paar Minuten bleiben, können Sie sie das selbst fragen. Als ich angerufen habe, um ihr mitzuteilen, dass ihr Vater aufgewacht ist, sagte sie, sie käme gegen sechs.«
»Ich wüsste trotzdem gern Ihre Meinung.«
Die Frau lachte ganz unerwartet. »Jung, weiblich und hübsch«, sagte sie flapsig. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Drache das zugeben wird - es sei denn, Sie suchen nach einem jungen Ding im Minirock...«
Jones zog seinen Notizblock heraus, blätterte zu einer leeren Seite und schrieb einige Sätze nieder. »Wie alt ist Ihre Mutter?«, fragte er Beale.
»Neunundfünfzig.«
»Zufrieden mit Ihrem Leben?«
»Nicht besonders.«
»Und Ihre Kinder? Wie alt sind die?«
»Sieben und fünf.«
Der Superintendent betrachtete ihn amüsiert. »Gute Antworten, Nick. Damit sind Sie, würde ich sagen, der Fachmann für depressiv verstimmte Überfünfzigerinnen, und ich bin der Fachmann für rotzige Teenager.« Er riss das Blatt aus seinem Block und reichte es Beale. »Ich nehme Ben, Sie nehmen Ms. Tutting. Wenn Sie sie dazu bewegen können, diese Fragen zu beantworten, bringt uns das vielleicht weiter, aber zuerst müssen Sie wahrscheinlich ein bisschen um den heißen Brei herumreden.«
Beale las, was Jones niedergeschrieben hatte. Verkehrt Walter Tutting mit Prostituierten? Wo findet er sie? Wie lang treibt er das schon? Hat er eine »Feste«? »Besten Dank«, sagte er bissig. »Möchten Sie mir vielleicht einen Tipp geben, wie ich die sexuellen Vorlieben eines Zweiundachtzigjährigen mit seiner Tochter diskutieren soll? Ich habe da nämlich nicht so viel Erfahrung.«
»Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf.« Jones gab seinem Mitarbeiter einen Klaps auf den Rücken. »Sehen Sie nur unbedingt zu, dass Sie sich die Frau schnappen, bevor sie mit ihrem Vater spricht. Wir werden kein Sterbenswörtchen von Prostituierten hören, wenn sie glaubt, sie kann Charles Acland für den Überfall verantwortlich machen.«
Beale pflanzte sich auf einen Stuhl im Korridor und rief einen Kollegen an, um sich zu erkundigen, worüber Amy Tutting in früheren Gesprächen befragt worden war. Nicht viel, sagte man ihm. »Sie war ziemlich fertig, da wollten wir nicht so viel Druck machen.« Die meisten Fragen hatten sich auf Tuttings tägliche Gewohnheiten bezogen, wie oft sie ihn in der Regel besuchte, was sie über sein Tun an dem fraglichen Tag wusste. Man hatte sie die Bestandsaufnahme überprüfen lassen, die die Polizei in seinem Haus gemacht hatte, und sich eine Liste seiner Freunde und Bekannten von ihr geben lassen.
Sie hatte von der zunehmenden Vergesslichkeit ihres Vaters gesprochen, jedoch nichts davon erwähnt, dass sie ihn ermahnt hatte, niemanden ins Haus zu lassen. Beales Kollege beschrieb sie als »ein bisschen zickig«, aber nur, weil sie in Tränen ausbrach und auf ihre Brüder schimpfte, die angeblich keinen Finger rührten, um ihr bei der Betreuung ihres Vaters zu helfen. »Sie ist voll berufstätig und sagte, es wäre unheimlich anstrengend, das ganz
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