Der Schatten des Chamaeleons
Ihr Wort, Doc? Hat das auch Gewicht?«
»Ich hoffe es. Ich habe jedenfalls eine positive Beurteilung über Sie geschrieben.«
»Haben Sie Jen erwähnt?«
»Nein.«
»Meine Eltern?«
»Nein.«
»Dann müsste eigentlich alles okay sein.«
»Nur wird die Kommission sich nicht mit Ihrem psychischen Befinden befassen, Charles. Es geht um die körperlichen Behinderungen - die Blindheit auf einem Auge, den andauernden Tinnitus und die chronischen Migräneanfälle. Die müssen Sie kleinreden.« Er zeigte sein kühles Lächeln. »Niemand in der Kommission interessiert sich für enttäuschende Beziehungen.«
»Danke, Doc.«
»Wofür?«
Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht drehte Acland sich wieder herum. »Dass Sie mir nichts vorgemacht haben - meine Erwartungen runtergeschraubt haben. So mache ich mich wenigstens nicht lächerlich. Man kann ja nicht vor einen hochrangigen Ausschuss treten und plötzlich zu flennen anfangen.« Das Lächeln erlosch abrupt. »Trotzdem - ich will wenigstens sagen können, dass ich alles versucht habe. Wenn sie mich rausschmeißen, muss ich eben lernen, damit zu leben.« Sein Ton wurde härter. »Das ist so ziemlich das Einzige, worin ich allmählich einen
Haufen Übung bekomme - wie ich es anstelle, mit den Umständen zu leben.«
Willis zog eine Schublade auf und nahm eine seiner Karten heraus. »Bitte.« Er schob sie über den Schreibtisch. »Sie können sie wegwerfen oder aufheben, Charles. Unter der Nummer werden Sie mit einer Beratungsstelle verbunden, die mich Tag und Nacht erreicht. Ich erwarte nicht, in den nächsten Monaten von Ihnen zu hören - wenn überhaupt -, aber wenn Sie sich melden, rufe ich sofort zurück.«
»Und wenn ich mich schon nächste Woche melde?«
»Das würde mich wundern«, antwortete Willis freimütig. »So schnell wie Sie Freunde abwimmeln, können Sie sie gar nicht finden, egal ob Sie beim Militär bleiben oder nicht. Sie ziehen sich lieber zurück und schlagen die Tür hinter sich zu, anstatt sich um andere zu bemühen. Letzteres ist in Ihren Augen ohnehin sinnlos.«
Nicht zum ersten Mal fragte sich Willis, ob diesem Jungen nicht eine Kollegin besser hätte helfen können. Frei von dem Ballast, der Männern den Zugang zueinander versperrte - dem instinktiven Widerwillen, Zuneigung zu zeigen, und der Notwendigkeit, als Alpha-Männchen ein gewisses Maß an Distanz zu wahren -, hätte sie einen sanfteren Ton anschlagen können, der dem jungen Mann vielleicht ermöglicht hätte, um den Menschen zu trauern, der er gewesen war.
Metropolitan Police
Interne Aktennotiz
Sir,
Derzeitiger Ermittlungsstand
Wie gestern berichtet, sind die o. a. Ermittlungen nicht weiter fortgeschritten. Etwa 2500 Personen wurden zwischenzeitlich befragt - Freunde, Verwandte, Nachbarn, Kneipenpersonal, Taxifahrer, Stammgäste der verschiedenen Schwulenklubs und Bars -, aber abgesehen von den früheren Verbindungen zum Militär und den homosexuellen Neigungen ließen sich bei den drei Männern keinerlei weitere Gemeinsamkeiten ausmachen. Die Ehefrauen der beiden jüngeren Männer, Peel und Atkins, gaben zu, dass ihre Ehemänner bisexuell gewesen seien. Mrs. Peel behauptet, die Trennung sei immer nur vorübergehend gewesen. »Bei uns lief es nicht mehr rund, und eines Abends hat Harry in seinem Taxi einen Kerl mitgenommen. Die beiden trieben es miteinander. Danach war Harry ganz durcheinander. Er hatte früher bei der Armee zwei oder drei solche Begegnungen gehabt, die er nie vergessen hatte. Kurz und gut, er sagte, er wolle es mal eine Weile in der Schwulenszene probieren. Er hat sich dann ein Apartment gemietet, um seinen Freiraum zu haben, aber er ist beinahe jeden Tag vorbeigekommen. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, sprach er davon, dass er zurückkommen wolle.«
Während der sechsmonatigen Trennung verkehrte Peel regelmäßig in der Schwulenszene. Er besuchte die entsprechenden Kneipen
und Klubs - entweder als Freier oder in seiner Eigenschaft als Taxifahrer. Er arbeitete am liebsten nachts, und die meisten Türsteher wussten, wie sie ihn erreichen konnten, wenn Gäste ein Taxi verlangten. Die Behauptung seiner Ehefrau, dass er wieder zu ihr zurückkommen wollte, wird von mehreren seiner Freunde bestätigt. Sie sagten, er habe sie vermisst. Peel und seine Frau waren vierundzwanzig Jahre verheiratet gewesen.
Mrs. Atkins gab an, ihre eigene außereheliche Affäre sei der Grund für die Scheidung gewesen. »Kevin war immer sehr diskret, weil er mir und den
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