Der Schatten des Chamaeleons
klappte ihn auf, um seine Scheckkarte herauszunehmen, aber als er das Plastikding herauszog, bemerkte er, dass Robert Willis’ Visitenkarte an der falschen Stelle saß. Sie hätte hinter der American Express eingeschoben sein müssen, war aber da, wo die Scheckkarte gewesen war.
Er sah Jackson vor sich, wie sie in seinem Geldbeutel kramte. Einen Psychiater hatte sie natürlich unwiderstehlich gefunden. Was hatte Willis ihr erzählt? Was hatte sie Willis erzählt? »Ihr Patient zeigt psychopathische Neigungen, Doktor.« »Haben Sie ihn darauf aufmerksam gemacht, dass Kopfverletzungen das Moralgefühl einschränken können?« »Wussten Sie, dass Ihr Patient an allen möglichen Störungen litt, als Sie ihn für gesund erklärten?«
Acland fragte sich, warum er Willis’ Visitenkarte überhaupt aufgehoben hatte. Vielleicht weil sie eine, wenn auch armselige Verbindung zu einer Zeit war, als er noch dem Militär angehört hatte. Vielleicht auch, weil er gehofft hatte, eines Tages eine positive Nachricht hinterlassen zu können, dass alles in Butter sei, als wäre ihm die Meinung des Psychiaters wichtig. Stattdessen wusste Willis jetzt, dass jede düstere Vorhersage, die er gemacht hatte, eingetroffen war. Acland war zum Einzelgänger geworden.
Er war misstrauisch bis zur Paranoia. Und die beständig wiederkehrenden Kopfschmerzen machten ihn labil.
In der immer länger werdenden Schlange hinter ihm ließ jemand Ungeduld verspüren, und er beeilte sich, die Karte einzuschieben. Er stellte sich vor, wie Willis seine Eltern anrief oder ihre Telefonnummer an Jackson weitergab, und fühlte sich zutiefst gedemütigt. Wussten sie, dass ihr Sohn in einer Londoner Kneipe durchgedreht war? Verdammt .
Von hinten stupste ihn jemand mit dem Finger an. »Wollen Sie das Geld mitnehmen, junger Mann, oder wollen Sie’s nur anschauen?«
Acland sog tief Luft ein und widerstand dem Impuls, herumzufahren und dem Mann eine runterzuhauen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog er das Bündel Zwanziger aus dem Automaten, stopfte es in seinen Geldbeutel und wandte sich zum Gehen.
Wieder stach der Finger zu. »Sie haben Ihre Karte vergessen.«
Es hätte zu einer Reprise des vergangenen Abends ausarten können, wäre die knarrende Stimme nicht so offenkundig die eines alten Mannes gewesen. Dennoch fuhr Acland heftig herum und packte den arthritischen Zeigefinger, bevor er erneut zustechen konnte. »Lassen Sie das«, knirschte er, den Blick in ein Paar feuchter Augen gerichtet.
Verärgert riss der sicher über Achtzigjährige sich los. »Ich wollte Ihnen nur helfen, aber bitte - lassen Sie die Karte ruhig hier. Kann mir doch egal sein, wenn Sie Ihre Ersparnisse los sind.«
»Ich mag’s nicht, wenn mich jemand anfasst.«
Der Alte war nicht so leicht einzuschüchtern. »Dann kleben Sie sich ein Schild auf den Rücken. Wie sollen wir ahnen, was für ein übellauniger Kerl Sie sind, wenn wir hinter Ihnen stehen. Dazu muss man erst mal Ihr Gesicht sehen.«
Acland suchte sich einen Platz auf der anderen Straßenseite im Schatten einer Platane. Der Alte hatte recht. Er war ein übellauniger Kerl. Wenn jemand ihn angriff, kannte er kein Mitgefühl, sondern verspürte nur eine anschwellende ohnmächtige Wut. Und jetzt?, dachte er in kühler Überlegung. Und jetzt ?
Zurück in seiner Wohnung, einer von zweien in einem umgebauten viktorianischen Reihenhaus, zerriss er Willis’ Karte und verbrannte die Fetzen in einem Aschenbecher. Danach ging er in den winzigen Garten, der zu seiner Erdgeschosswohnung gehörte, und zündete mit den Sachen, die ihn mit dem Militär verbanden - seiner Ernennungsurkunde, Regimentsunterlagen, Soldquittungen, Berichte der Musterungskommission -, ein großes Feuer an. Er hätte auch noch seinen Arbeitsoverall in die Flammen geworfen, hätte die Frau von oben nicht aus dem Fenster geschrien, im Garten Feuer zu machen sei verboten.
Acland atmete mehrmals tief durch, um sich zu beruhigen, dann blickte er, sein Auge mit der Hand beschattend, zu ihr hinauf. Abgestoßen von ihrer übertriebenen Freundlichkeit am Tag seines Einzugs und von der Ähnlichkeit mit Jen, die er bei ihr sah, ging er ihr aus dem Weg, wo er konnte. Er hätte jeden anderen Mieter ertragen können, aber nicht eine Frau, die ständig beachtet werden wollte.
Mit einer Flasche Wein gerüstet hatte sie vor seiner Tür gestanden, war ohne Aufforderung eingetreten, hatte ihn Charlie genannt und von ihm Kitten genannt werden wollen. Im Expresstempo
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