Der Schatten des Chamaeleons
nehmen und ein Schmerzmittel bei sich behalten könne. Völlig zermürbt stimmte er zu. Bald danach schlief er ein, jedoch nicht bevor er mehr über sich preisgegeben hatte, als Willis je von ihm erfahren hatte.
Sonnenlicht fiel durch einen Spalt zwischen den Vorhängen, als Acland am nächsten Morgen erwachte. Aus der Küche unten konnte er Geschirrklappern hören. Er war nicht einen Moment desorientiert, sondern wusste sofort, wo er war und was geschehen war. Er hatte die Ereignisse des vergangenen Abends noch genau im Kopf - glaubte er jedenfalls - und erinnerte sich auch noch an die Frage, die er Jackson gestellt hatte, kurz bevor sie ihm die Spritze gegeben hatte. »Sind Sie Ärztin?« An die Antwort jedoch hatte er keine Erinnerung mehr.
Er lag auf seiner linken Seite, mit dem Gesicht zum Fenster. Auf einem Stuhl daneben bemerkte er seine Schuhe und seine Socken. Er war nackt bis auf die Unterhose, hatte aber keine Ahnung, wann er ausgekleidet worden war und von wem. Er richtete sich auf, um den Rest des Raums in Augenschein zu nehmen. Er war klein und zweckmäßig eingerichtet mit einem Kleiderschrank aus Fichtenholz in der einen Ecke und einem Säulenwaschbecken mit Spiegel an der Wand gegenüber vom Fenster. Die Schüssel stand leer und sauber neben seinem Geldbeutel, seiner Armbanduhr und seiner Augenklappe auf dem Nachttisch, und neben seinem Kopfkissen lag ein gefaltetes Handtuch. Seine Kleider, Jacke, Hemd, Hose, sah er nirgends.
Er legte die Augenklappe an und sah auf die Uhr. Fast neun. Sehr behutsam, weil er nicht wollte, dass knarrende Dielen ihn verrieten, glitt er aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen zum Kleiderschrank. Aber statt seiner Kleider erwarteten ihn nur fünf leere Bügel. Obwohl er sich ziemlich blöd vorkam, zog er Socken und Schuhe über, schob seinen Geldbeutel in den Gummibund seiner Unterhose und zog den rosarot geblümten Bettüberwurf ab, um ihn sich um den Bauch zu wickeln.
Leise machte er die Tür zum Flur auf und suchte nach einem Badezimmer, aber die Türen rundherum waren alle verschlossen. Links war eine Treppe, die Geräusche aus der Küche drangen deutlich durch den Schacht nach oben. Die Gerüche ebenso. Er bekam Riesenhunger, als er bratenden Schinkenspeck roch. Er
konnte nicht erkennen, ob er sich im privaten Teil des Hauses befand oder ob die anderen Zimmer hier oben vermietet wurden, deshalb schlich er sich mit zunehmendem Unbehagen leise den Flur entlang, in der Hoffnung, eine Toilette zu entdecken.
Als er es endlich wagte, vorsichtig eine Tür zu öffnen, stieß er - wie hätte es anders sein können? - auf Jackson. Sie saß rittlings auf einer Flachbank, das Gesicht zur Tür, die Arme auf Schulterhöhe ausgestreckt, in jeder kräftigen Hand eine Hantel. Sie lachte glucksend, als sie Acland sah, und sagte: »Hübsches Röckchen«, während sie die Ellbogen beugte, um die Hanteln an die Brust zu ziehen. »Wenn Sie das Bad suchen, das ist gegenüber von Ihrem Zimmer. Sie können sich den Bademantel ausleihen, der an der Tür hängt, aber benutzen Sie bitte nicht meinen Rasierer. Ich bin in fünf Minuten hier fertig.«
Mit rotem Kopf und einer gestammelten Entschuldigung zog Acland sich zurück, und Jackson fragte sich, ob er jünger war, als sie anfangs gedacht hatte. Es war schwer, das Alter dieses Mannes mit dem kurz geschorenen Haar und dem vernarbten Gesicht zu schätzen, aber sie hatte ihn gestern Abend auf jeden Fall für älter gehalten als Mansur und seine Freunde. Auf mindestens dreißig. Während sie die Arme streckte, um erneut die Hanteln zu heben, ließ sie sich durch den Kopf gehen, was er ihr über seine Krankengeschichte erzählt hatte.
Woher kommen Ihre Verletzungen? Von einem Stück Metall . Bei einem Verkehrsunfall? Wenn Sie so wollen. Was soll das heißen? Nichts ... es war ein Unfall . Haben Sie schon früher an Migräne gelitten? Nein. Was nehmen Sie gegen die Schmerzen? Nichts. Ich halte sie aus. Warum? Es hilft mir. Den meisten Menschen sind Schmerzen keine Hilfe. Ich komme gut damit zurecht . Na klar. Sie sehen scheiße aus und schlagen den Erstbesten zusammen, der’s Ihnen nicht recht macht. Das nennen Sie gut zurechtkommen? Immerhin bin ich am Leben ...
Als der Brechreiz aufhörte und das Schmerzmittel noch nicht wirkte, waren seine Antworten interessanter. Wer ist ums Leben
gekommen? Zwei von meinen Männern . Sind Sie beim Militär? Nicht mehr . Warum nicht mehr? Ich bin nicht gut genug . Wieso hat Raschid Mansur Sie so aus
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