Der Schatten des Chamaeleons
hatte er erfahren, dass sie fünfunddreißig war, geschieden und zwei Kinder hatte, dass ihr Ex fremdgegangen war, sie sich einsam fühlte, Charlies Augenklappe »scharf« fand und immer für einen netten Abend zu haben war, solange jemand anders bezahlte.
Nachdem Acland sich eine Stunde lang bemüht hatte, höflich zu sein - schließlich musste er die nächsten sechs Monate mit dieser Frau als Nachbarin leben -, waren seine Antworten immer
kürzer geworden. Sie hatte nichts Anziehendes für ihn. Sie sah auch noch wie Jen aus. Blond, dümmlich hübsch mit großen stark geschminkten Augen und unter der engen Jeans und dem bauchfreien Shirt war sie dünn wie eine Bohnenstange. Sie trank die Flasche fast allein aus, vertrug aber den Alkohol nicht und begann bald lallend die neue Frau ihres Ex zu beschimpfen, bald Acland mehr oder weniger plumpe Anträge zu machen. Als sie kokett sagte, sie sei hoffentlich nicht schon zu lange geblieben, sagte er kurz, doch, und aus war es mit der Schöntuerei.
Keine verführerischen Augenaufschläge mehr, nur noch wütende Feindseligkeit. Sie habe nur nett sein wollen. Wofür er sie eigentlich halte? Acland hörte wortlos zu und fragte sich, was sie von ihm erwartet hatte. Sex? Bewunderung? Ganz gleich, bis sie torkelnd seine Wohnungstür erreichte, war er nicht mehr »scharf«, sondern »krank«.
Danach begann sie, ihn zu schikanieren - war störend laut in ihrer Wohnung, warf ihm Abfall in den Garten oder vor die Haustür, beobachtete sein Kommen und Gehen. Äußerlich zeigte er nur eisige Gleichgültigkeit; in seinem Inneren aber fraß ihr Verhalten unaufhörlich an dem bisschen Respekt, das er für Frauen noch hatte. Das Ganze war eine gefährlich negative Erfahrung für einen Menschen wie Acland. Sie erreichte im Grunde nur, ihn in seinem Misstrauen gegen Frauen zu bestärken.
Als er bemerkte, dass sich am oberen Fenster des Nachbarhauses etwas bewegte, wandte er den Blick von der Frau namens Kitten und schaute hinüber zu dem alten Mann nebenan. Die missbilligende Miene des Alten verriet nicht, ob er etwas gegen das Feuer hatte oder gegen die drastische Ausdrucksweise, mit der Kitten sich über Aclands Tun aufregte.
»Sie sind ein gottverdammtes Arschloch!«, brüllte sie gerade wütend. »Ich hole die Polizei, wenn Sie das Feuer nicht sofort ausmachen.«
Hinter ihr konnte Acland ein ängstliches Kindergesicht erkennen. »Tun Sie das«, sagte er. »Es ist nicht verboten, es wird nur
nicht gern gesehen, weil man Beschwerden von Leuten wie Ihnen fürchtet. Die Polizei hat Besseres zu tun, als kreischenden Weibern zu erklären, dass sie falsch informiert sind.« Er sah, wie das Kind sie am Ärmel zupfte und zurücksprang, um einem wütenden Ellbogenstoß auszuweichen.
»Es ist Sommer, verdammt noch mal«, schrie sie. »Wissen Sie eigentlich, wie heiß es ist? Wir gehen alle in Flammen auf, wenn ein Funken an den Zaun fliegt. Das müssen Sie doch kapieren ? Oder sind Sie außer halbblind auch noch halbblöd?«
Acland blickte zum Feuer. »Alles unter Kontrolle«, murmelte er und stieß mit dem Fuß die Überreste eines Aktendeckels in die kleiner werdenden Flammen.
»Ist ja nicht wahr! Meine Kleine erstickt fast an dem Rauch. Soll ich Sie verklagen, wenn sie Asthma kriegt? Sie sind so gottverdammt rücksichtslos. Haben Sie beim Militär nichts vom Klimawandel gehört?«
»Wozu? Wenn ein Ölfeld explodiert, interessieren keinen die Schadstoffe, da werden nur die Leichen gezählt. Haben Sie schon mal gesehen, wie ein Mensch bis auf die Knochen verbrennt? Der Gestank ist so fürchterlich, dass man ohne Atemgerät nicht näher als zehn Meter herangehen kann. Man kann nur zuschauen, wie der arme Kerl krepiert... und schön ist das nicht.«
»Schreien Sie nicht so«, rief sie ärgerlich. »Da kriegen meine Kinder ja Alpträume.«
»Dann machen Sie wegen einem kleinen Feuer in London nicht so ein Theater. Jedes Mal, wenn ein Tornado startet, bekommt die Ozonschicht ein neues Loch.« Er sah zu, wie sein Militärkrankenausweis sich wellte und schmolz. »Der Krieg macht alles kaputt. Je früher Ihre Kinder das begreifen, umso besser. Dann können sie immerhin das Leben noch genießen, bevor die ganze Welt in Flammen aufgeht.«
Aber philosophische Überlegungen interessierten sie nicht. »Erzählen Sie mir nicht, wie ich meine Kinder großzuziehen habe. Wenigstens rennen sie nicht halbnackt auf der Straße rum
und schreien mitten in der Nacht wie ein gestochenes Schwein. Sie gehören
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