Der Schatten des Chamaeleons
Bedingungen zu beugen.«
Acland formulierte seine Frage um, als Susan nicht gleich antwortete. »Wie kommen Sie auf die Idee, ich würde mich lieber an Jackson wenden?«
»Auf Anhieb würde ich sagen, weil Sie sich bei ihr sicherer fühlen. Sie ist stark genug, Sie an der Kandare zu halten... Sie werden ihr nicht so viel antun können, wenn Sie wirklich die Beherrschung verlieren... sie wird sich nichts dabei denken,
Sie mit Gewalt zur Räson zu bringen oder die Polizei zu holen, wenn Sie ihr gegenüber handgreiflich werden sollten.« Sie sah ihn mit einem spöttischen Lächeln an. »Außerdem sind Sie als Sexualpartner für sie völlig uninteressant. Sie ist zwar kein mütterlicher Typ, hilft aber bei Migräneanfällen, setzt sich zu ihren Patienten ans Bett, macht ihren Dreck weg, wäscht sogar ihre Wäsche. Was wollen Sie mehr?«
»Das macht nicht Jackson, das macht Daisy.«
»Woher wissen Sie das?«
»Jackson hat es selbst gesagt - außerdem liegt es auf der Hand. Man braucht sich die beiden nur anzusehen. Jackson würde nie einen Schrubber in die Hand nehmen. Die interessiert sich nur für ihren Kraftsport.«
»Dann ist Daisy also eine ausgehaltene Femme.«
»Was soll das heißen - Femme?«
»Das ist eine feminine Lesbe - eine hübsche Frau, die auf Männer und Frauen anziehend wirkt. Für heterosexuelle Männer sehr verwirrend. Wenn sie nicht irgendwelche Phantasien um sie spinnen, ist sie für sie das typische Weibchen, das Heimchen am Herd. Das Gegenteil ist die Butch. Die sieht aus wie ein Kerl -«, wieder das spöttische Lächeln, »- wird also in der Rolle des Ehemannes gesehen mit den entsprechenden Merkmalen, wie zum Beispiel absoluter Unwissenheit darüber, wo das Putzzeug steht.«
Acland sagte nichts.
»Soviel ich weiß, führt Daisy die Kneipe, und Jackson arbeitet als Notärztin. Sie sind seit zehn Jahren ein Paar und haben vor fünf Jahren ihre Ersparnisse zusammengelegt, um das Bell zu kaufen. Daisy ist für die Kneipe zuständig, Jackson für den privaten Bereich. Sie haben Personal, machen also nicht alles selbst, aber ich bezweifle, dass Daisy gestern Abend irgendetwas mit Ihnen zu tun hatte. Sie hatte die Abendschicht und hat bestimmt keine Zeit gehabt.«
»Warum hat Jackson dann etwas anderes vorgegeben? Ich
habe mich gehütet, eine abschätzige Bemerkung über Lesben zu machen. Ich habe nur gesagt, Jackson sähe gar nicht wie eine Ärztin aus - und das stimmt auch. Sie trägt Radlerhosen und ein ärmelloses Shirt und Riesenstiefel an den Füßen.«
»Was hatten Sie denn erwartet? Einen weißen Kittel?« Susan lachte.
»Jedenfalls kein Muskelpaket von Mammutgröße, das aussieht, als spritzte es sich fünfundzwanzig Mal am Tag Testosteron«, gab Acland gereizt zurück. »Wie viele Ärztinnen kennen Sie, die aussehen wie Arnold Schwarzenegger?«
»Keine«, antwortete Susan. »Jackson dürfte einmalig sein. Ich habe den Eindruck, dass Sie ihr mit Ihren Vorurteilen auf die Nerven gegangen sind und sie Ihnen deshalb eine kleine Grube gegraben hat, in die Sie prompt hineingefallen sind. Sie sollten eigentlich wissen, dass man einen Menschen nicht allein nach dem Aussehen beurteilen sollte, Charles. Gerade Sie mögen das doch überhaupt nicht.«
»Ich war ihr gegenüber völlig vorurteilsfrei. Wenn sie es anders empfunden hat, ist sie diejenige, die einen Komplex hat - nicht ich.«
Susan schüttelte den Kopf. »Sie haben einen ihrer Gäste zusammengeschlagen, weil er wie ein Moslem aussah. Nennen Sie das vorurteilsfrei?«
Der Taxifahrer fuhr an die Seite, als zwei Streifenwagen mit heulenden Sirenen die Straße heruntergebraust kamen. Kurz danach schlossen sie zum Ende einer langen Schlange stehender Fahrzeuge auf, blaue Blinklichter zeigten an, dass ungefähr vierhundert Meter weiter vorn die Straße blockiert war. »Scheint ein Unfall zu sein«, meinte der Fahrer. »Möchten Sie von hier aus zu Fuß gehen? Durch die Nebenstraßen zu fahren, wird nichts bringen, da staut es sich sicher genauso. Die Fahrspuren sind beide blockiert, so was kann Stunden dauern.«
»Wie weit ist es denn noch?«, fragte Susan.
»Höchstens achthundert Meter. Noch mal die gleiche Strecke nach der Unfallstelle. Gehen Sie einfach geradeaus. Das Bell ist an der Ecke Murray Street.«
Sie entschlossen sich, zu Fuß zu gehen. Acland bezahlte und sah zu, wie das Taxi wendete, nachdem noch ein Streifenwagen vorübergefahren war. »Ich kann anscheinend nirgends hingehen, ohne dass gleich die Polizei
Weitere Kostenlose Bücher