Der Schatten des Chamaeleons
vielleicht irgendwie nachprüfen?«, fragte Beale.
»Nein.« Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Was soll das überhaupt? Was hat Charlie getan?«
Als Beale zögerte, griff Khan ein. »Würden Sie uns sagen, wie es zu der Trennung kam?«, fragte er. »Gab es einen bestimmten Grund dafür?«
Sie sah ihn voller Verachtung an. »Ich fand’s nicht besonders lustig, vergewaltigt zu werden.«
»Das verstehe ich«, sagte er beschwichtigend, »aber Sie sagten eben, Charles Acland sei nach Ihnen verrückt gewesen - und Vergewaltigung lässt auf Gewalt in der Beziehung schließen.«
Sie schickte sich an, die Tür zu schließen. »Er ist jähzornig.«
Khan hielt die Tür fest. »Was haben Sie getan, damit er so aus der Haut fährt?«
»Nichts«, antwortete sie kalt, »außer dass ich mich geweigert habe, ihm zu geben, was er wollte.«
»Und was war das?«
»Strengen Sie mal Ihre Phantasie an. Was wollen denn Männer im Allgemeinen?«
Khan lächelte leicht. »Das kommt auf die Konditionen an. Von der Verlobten erwarten es die meisten Männer umsonst.«
Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Hat er Sie mit einem Freier erwischt, Ms. Morley? War das der Grund?«
»Verpissen Sie sich.« Mit plötzlich aufwallender Wut stieß sie mit beiden Händen die Tür zu und warf ihnen noch einen hasserfüllten Blick durch das Glas zu, ehe sie sich abwandte.
Beale wartete, bis sie wieder in ihre Wohnung trat. »Toll«, sagte er sarkastisch. »Ich schmier Uma Thurman Honig ums Maul, und Sie nennen sie eine Nutte. Was haben Sie sich denn dabei bloß gedacht?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Khan nachdenklich, »aber sie ist ziemlich aggressiv. Was glauben Sie, dass sie nimmt?«
12
Um seine Sachen wiederzubekommen, musste Acland eine Quittung unterschreiben und bestätigen, dass alles ordnungsgemäß zurückgegeben worden war. Im Beisein von Inspector Beale und dem diensthabenden Beamten packte er seinen Seesack aus und prüfte den Inhalt. Der Inspector empfand Verlegenheit, während er dem jungen Mann dabei zusah, wie er seine bescheidenen Besitztümer ans Tageslicht beförderte. Abgesehen von den Kleidungsstücken, ein winziger Bruchteil dessen, was Beale in seinem Kleiderschrank hatte, holte Acland ein kleines Radio hervor, einen altmodischen Wecker, einen Toilettenbeutel, ein Paar Turnschuhe, lederne Flip-Flops, ein Kochgeschirr und einen Blechbecher, eine Thermosflasche, Löffel, Messer und Gabel, ein Notizbuch, zwei Bleistifte und ein Taschenbuch mit dem Titel Einführung in die Philosophie .
Der Superintendent, dachte Beale, hatte recht. Entweder gab es irgendwo einen Lagerraum, oder dieser junge Kerl war ein Mönch. Und sie alle faszinierte die Frage, wie ein Mönch sich jemals mit einer Frau wie Jen Morley hatte verloben können. Susan Campbell hatte dazu nichts sagen können oder wollen.
»Ich kenne die Frau nicht, und Charles hat nie mit mir über sie gesprochen«, sagte sie entschieden.
Brian Jones hatte sie in den Beobachtungsraum geholt, wo am Bildschirm immer noch Acland zu sehen war. »Wären Sie bereit, Mutmaßungen anzustellen?«, fragte er. »Der junge Mann
wirkt auf uns wie der reine Asket, und meine Mitarbeiter hier beschreiben Ms. Morley als eine aggressive und ordinäre Prostituierte. Wo kann da die Anziehung gelegen haben?«
»Im Sex.«
Jones lachte amüsiert. »So einfach?« Er blickte zum Bildschirm. »Von rechts betrachtet sieht er ausgesprochen gut aus. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass ihm vor seiner Verwundung die Frauen nachgelaufen sind. Gerade deshalb aber kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er sich fest an eine Prostituierte binden würde. Warum hat er die Frau nicht einfach dafür bezahlt?«
»Sie ist keine gewöhnliche Prostituierte«, sagte Beale. »Eher eine hochklassige Hostess für Geschäftsleute, die hier vorübergehend zu tun haben. Sie hat eine angenehme Stimme und sieht wahrscheinlich gut aus, wenn sie zurechtgemacht ist - auch wenn sie heute Abend ziemlich fertig ausgesehen hat.«
»Sie geht für ihre Sucht anschaffen«, sagte Khan. »Sie war total von der Rolle, als wir mit ihr gesprochen haben, kurz vorm Zusammenklappen. Wenn wir noch eine Weile gewartet hätten, hätten wir sie zu ihrem Dealer rennen sehen, sobald der Freier weg war.«
Jones richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Susan. »Ist es möglich, dass Charles glaubte, er könnte sie retten? Ich hätte ihn nicht für so dumm oder naiv gehalten, aber er ist ja sehr puritanisch - und solche
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