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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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Leute bilden sich leider häufig ein, sie könnten andere bekehren.«
    »Sie fragen mich etwas, was ich nicht beantworten kann«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was Charles für ein Mensch war, als er mit Jen Morley verlobt war - ich weiß auch nicht, was sie für ein Mensch war. Persönlichkeiten entwickeln sich im Lauf der Zeit - wir neigen dazu, uns an den Menschen zu orientieren, mit denen wir leben und arbeiten -, aber anhaltendem Drogenmissbrauch werden häufig die einschneidendsten Veränderungen zugeschrieben. Wenn dieser Herr hier...«, sie wies auf
Khan, »... recht hat, kann es sein, dass die Jen Morley, die er heute Abend erlebt hat, nicht die war, mit der Charles sich damals verlobt hat.«
    »Und was ist mit ihm? Er hat eine ziemlich schwere Kopfverletzung erlitten. Kann so etwas nicht auch die Persönlichkeit verändern?«
    »Selbstverständlich. Aber auf viele unterschiedliche Weisen. Wie lange haben wir Zeit? Für meinen Vortrag über den Verlust des Kurzzeitgedächtnisses brauche ich im Allgemeinen eine Stunde.«
    Jones klopfte ungeduldig mit einem Finger auf den Tisch. »Es ist eine simple Frage, Dr. Campbell.«
    »Aber die Antwort ist weniger simpel, Superintendent. Es gibt zu viele Variablen.«
    »Nennen Sie mir eine.«
    »Je nach ihrer Schwere kann so eine Kopfverletzung zu einer Einschränkung der geistigen Funktionen führen - zum Beispiel zu Vergesslichkeit, Verwirrung, Verlust der Kommunikationsfertigkeiten. Da solche Beeinträchtigungen häufig Gereiztheit und Frustration hervorrufen, sind Auswirkungen auf die Persönlichkeit gar nicht auszuschließen.«
    Jones schloss die Augen und holte einmal tief Atem. »Ist der Charles Acland, den wir heute Abend kennengelernt haben, derselbe, der im letzten Jahr regelmäßig bei Ms. Morley zu Besuch war?«
    »Ich habe keine Ahnung. Ich bin ihm erst nach der Trennung das erste Mal begegnet.«
    »Ich möchte nur Ihre Meinung hören, Dr. Campbell. Sie verstoßen damit nicht gegen die ärztliche Schweigepflicht, weil Acland damals nicht Ihr Patient war und es auch jetzt nicht ist. Ich möchte nur sichergehen, dass er mit diesem Fall nichts zu tun hat - und Ihre Zurückhaltung, sich zu äußern, erleichtert mir die Sache nicht.«
    Susan runzelte die Stirn. »Von welchem Fall sprechen Sie? Der
Inspector hat doch gesagt, dass Charles Acland für die Zeit des Überfalls auf Mr. Tutting ein stichhaltiges Alibi hat.«
    »Alles, was seine Aussage stützen kann, ist eine Hilfe.«
    »Aber ich weiß nichts.« Sie sah ihn einen Moment ruhig an. »Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber Sie wissen wahrscheinlich mehr über ihn als ich. Das längste Gespräch, das ich je mit ihm geführt habe, war das im Taxi, als wir hierhergefahren sind.«
    »Worüber haben Sie gesprochen?«
    »Ich habe versucht, ihm beizubringen, dass hübsche, weiblich wirkende Lesben keine Weibchen sind, die sich aushalten lassen, und butch-Lesben keine Haushaltsmuffel.« In ihrem Ton schwang Erheiterung. »Kleine Lektion zu diesem Thema gefällig, Superintendent? Ich kann mir vorstellen, dass Ihr Begriff von einer lesbischen Beziehung ähnlich oberflächlich ist wie Charles’.«
    »Wenn er so wenig darüber weiß, wieso will er dann mit zwei solchen Frauen zusammenleben? Bildet er sich ein, dass er sie heilen kann?«
    Susan war nicht mehr erheitert. »Ihre sexuelle Orientierung ist ohne Belang; das ändert nichts an seiner Entscheidung, bei Jackson und Daisy zu leben.«
    »Aber warum?«
    Susan zuckte mit den Schultern. »Ich vermute mal, er weiß, dass er anfangen muss, den Menschen wieder zu vertrauen. Und in Jackson glaubt er, jemand Zuverlässigen gefunden zu haben. Sie hat ihm gestern Abend mehr Respekt abgenötigt als jeder andere seit seiner Heimkehr.« Ihr Blick ruhte einen Moment auf dem Bildschirm. »Aber es würde mich nicht wundern, wenn er es sich inzwischen anders überlegt hätte. Vertrauen ist etwas sehr Zerbrechliches.«
     
    Beale und sein uniformierter Kollege schüttelten die Köpfe, als Acland auf mehrere Kleidungsstücke deutete, die er nicht wieder
eingepackt hatte, und fragte, ob sie etwas dagegen hätten, wenn er sein Hemd ablegte, um ein paar Sachen darunter anzuziehen. Doch Beale war bestürzt, als er sah, wie abgemagert Acland war. An seinem Rücken konnte man die Rippen zählen, so dünn war er, genau dem Bild des hageren Asketen entsprechend.
    Acland zog sich drei T-Shirts über den Kopf, dann erst war das Hemd dran. »Sieht aus, als hätten Sie einen Trip in die

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