Der Schatten des Chamaeleons
leid. Strenge Vorschrift. Sie müssen die Zigarette ausmachen, bevor Sie einsteigen.«
Susan kam der Aufforderung nach. »Ich finde, wir sollten direkt zum Bell fahren«, meinte sie, als sie eingestiegen war. »Nach ihm zu suchen, wäre nur Zeitverschwendung. Selbst wenn wir ihn finden sollten, wird er nicht mit uns kommen.«
»Möchten Sie nicht lieber nach Hause?«
»Nein«, antwortete sie mit Entschiedenheit. »Ich muss mit Jackson reden. Sie hat gesagt, dass sie spätestens um halb eins wieder im Pub ist.«
Beale stieg auf der anderen Seite ein. »Acland hat wohl vor, irgendwo im Freien zu nächtigen - jedenfalls hat er sich dick
angezogen. Ich lasse ihn einfach morgen früh auflesen.« Er ließ den Motor an. »Wir können nur beten, dass nicht in der Zwischenzeit jemand ermordet wird«, sagte er. »Ich weiß nicht, wen es dann schlimmer treffen würde - ihn oder mich.«
Susan lächelte kühl. »Sie müssen verrückt sein, wenn Sie ernsthaft glauben, Charles Acland würde sich als Stricher ausgeben, um über einsame alte Männer herzufallen.«
Beale legte den Gang ein und schaute über die Schulter nach hinten, um den Wagen rückwärts aus der Lücke zu manövrieren. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ihr Superintendent sprach von den Schwulenmorden - er wollte wissen, ob Charles in London war, als der letzte verübt wurde.«
»Er hätte Ihnen nicht erzählt, dass der Mörder sich als Stricher ausgibt. Wir wissen nicht einmal, wie er in die Wohnungen hineinkommt.«
»Ich lese Zeitung.«
Beale bog auf eine größere Straße ab. »Die Presse vermutet nur - wir alle stellen nur Vermutungen an.« Er warf ihr einen Blick zu. »Aber nehmen wir an, Sie haben recht, weshalb sollte das Acland ausschließen?«
»Weil zurzeit schon jede Vorstellung von Sex ihn abschreckt. Er ist ein ungemein verschlossener Mensch, der keinen zu nahe an sich heranlässt. Ihr Chef hat ihn asketisch genannt. Ich würde es anders nennen. Ich würde sagen, er will sich vor den Menschen schützen und ist deshalb sehr eigen und vorsichtig. Glauben Sie, dass ein solcher Gemütszustand der sexuellen Abenteuerlust förderlich ist?«
»Es gibt keine Hinweise darauf, dass Geschlechtsverkehr stattgefunden hat. Ein homosexueller Hintergrund ist aber durchaus denkbar.«
Susan schüttelte den Kopf. »Charles wäre nie bis zum Schlafzimmer gekommen«, erklärte sie mit Überzeugung. »Man muss ja schon mit Engelszungen reden, um ihn überhaupt ins Haus zu
locken. Er schämt sich wegen seines entstellten Gesichts. Er tut alles, um sich andere vom Leib zu halten, und möchte niemandem nahe kommen. Nie im Leben würde er in einem fremden Haus weiter als bis in den Flur gehen...« Sie zog ironisch eine Braue hoch. »Schon gar nicht, wenn er glaubte, hinter der Einladung steckten sexuelle Wünsche.«
Der Inspector sah sie wieder an. »Und warum haben Sie das alles nicht dem Superintendent erzählt? Er hätte Acland schon vor drei Stunden auf freien Fuß gesetzt.«
Mit einem gereizten Seufzer zündete sie sich eine frische Zigarette an, ohne um Erlaubnis zu fragen. »Hätte er nicht. Er hätte das Gleiche getan wie Sie eben - hätte nach jeder unausgegorenen Theorie gegrapscht, über die sich Charles vielleicht mit den Überfällen hätte in Verbindung bringen lassen. Mir ist bis jetzt nicht klar, wieso er überhaupt unter Verdacht geraten ist.«
Beale ließ das Fenster ein Stück herunter, um den Rauch hinauszulassen. »Der Mann, der heute überfallen wurde, hat Acland als Täter genannt.«
»Wie denn? Ihr Chef hat mir erzählt, er sei ohne Bewusstsein.«
»Er kam kurz zu sich, als die Sanitäter eintrafen. Sie fragten ihn, wer es getan hätte, und er erklärte, es sei ein Mann mit einer Augenklappe gewesen. Acland hat zugegeben, dass er heute früh einen Streit mit Mr. Tutting hatte.«
»Ja, davon hat er mir erzählt. Er sagte, irgendein alter Mann hätte ihm immer wieder den Finger in den Rücken gestupst. War das Mr. Tutting?«
»Ja.«
»Warum haben Sie Charles dann freigelassen?«
»Er hat ein Alibi.« Beale hielt vor einer roten Ampel. »Wir vermuten, dass Mr. Tutting die beiden Zwischenfälle durcheinandergebracht hat, denn Acland war zum Zeitpunkt des Überfalls schon wieder in seiner Wohnung, wo er -« ein ironisches
Lächeln zu Susan - »den nächsten Streit hatte. Diesmal mit der Nachbarin von oben.«
Sie seufzte wieder. »Auch davon hat er mir erzählt. Wenn ich recht verstanden habe, ist die Frau einsam und hat es Charles
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