Der Schatten des Chamaeleons
Zeitverschwendung, wenn Mrs. Sykes bei dem Gespräch dabei ist. Dann wird Ben einfach an seiner ursprünglichen Aussage festhalten oder sich etwas Neues ausdenken. Er ist ein ziemlich cleveres Bürschchen.«
»Hat er gesagt, ob er einen Matchbeutel bei sich hatte?«
»Er will weder von einem Matchbeutel noch von der Londis-Tragtasche etwas wissen. Das einzige Stück, auf das er Anspruch erhebt, ist der Rucksack.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin überzeugt, den Matchbeutel gibt es, und Chalky hat ihn genommen, weil er wusste, was darin war. Er kennt Ben garantiert viel länger, als er uns gegenüber zugegeben hat.«
Acland blickte an ihr vorbei zum Fluss. »Ich wüsste gern, was darin war.«
Jackson betrachtete das angespannte Gesicht. »Wer weiß?« Sie hielt inne. »Ben hat es der Polizei bestimmt nicht gesagt, falls das Sie beunruhigt... kann er gar nicht, wenn er behauptet, nichts von dem Beutel zu wissen.«
Er sah ihr kurz in die Augen. »Weshalb sollte mich das beunruhigen? Der Beutel hat mit mir nichts zu tun.«
Sie öffnete die Tür auf der Fahrerseite. »Gut. Was halten Sie dann davon, wenn wir versuchen, Chalky aufzustöbern? Er scheint die Polizei zu meiden, aber mit uns würde er vielleicht reden. In den Docklands ist ein Drop-in Center für Obdachlose. Die Leute dort können uns vielleicht sagen, wo diese Lesbenfreundinnen von ihm zu finden sind.«
»In Ordnung«, sagte Acland gleichmütig. »Damit habe ich kein Problem.«
Und warum glaube ich dir das nicht? , fragte sich Jackson, die sah, wie seine Hände arbeiteten, als er sich im Sitz neben ihr zurücklehnte.
Eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Drop-in-Center wusste nicht nur, wo die Frauen zu finden waren, sie kannte auch Chalky. Als Jackson sie fragte, ob sie ihn in letzter Zeit gesehen habe, schüttelte sie den Kopf. »Die Polizei war auch schon bei uns deswegen«, berichtete sie, »aber er war seit Wochen nicht mehr hier. Er kommt sowieso immer nur sporadisch vorbei.«
»Wissen Sie mehr über ihn? Seinen richtigen Namen? Wo er sich gewöhnlich aufhält?«
Wieder schüttelte die Frau den Kopf. »Tut mir leid. Er war im Falklandkrieg, das ist alles, was ich über ihn weiß. Ich habe gehört, dass er ziemlich übel sein soll, wenn er getrunken hat - andere Obdachlose haben Angst vor ihm -, aber da Alkohol bei uns strikt verboten ist, habe ich ihn nie in diesem Zustand erlebt.«
Sie erklärte ihnen den Weg zu dem Abrisshaus, in dem die Frauengruppe lebte. »Aber Sie verschwenden wahrscheinlich Ihre Zeit«, warnte sie. »Die Polizei hat schon mit den Frauen gesprochen, und die wissen auch nichts von ihm.« Sie gab ihrer Neugier nach und fragte: »Wieso wollen plötzlich alle was von Chalky?«
»Er hat einem Jungen geholfen, der ins diabetische Koma fiel«, log Jackson. »Wir dachten, er würde vielleicht wissen wollen, dass der Junge auf dem Weg der Besserung ist. Die beiden scheinen sich schon länger gekannt zu haben.«
Die Frau nickte. »Hier drinnen sprechen nur die ganz Jungen mit ihm. Sie haben anscheinend weniger Angst vor ihm als die älteren Männer.«
Acland hob den Kopf. »Was wollen die Jungen denn von ihm?«
Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Ich nehme an, sie finden seine Geschichten über den Falklandkrieg interessant.«
Acland schien skeptisch, verfolgte das Thema aber nicht weiter.
Jackson griff die Antwort der Frau auf. »Darüber sprechen sie miteinander?«
»Das ist das Einzige, worüber er mit mir je gesprochen hat«, erklärte sie. Sie lächelte ein wenig. »Er ist uns gegenüber leider ziemlich misstrauisch, deswegen bekommen wir ihn auch so selten zu sehen.«
»Was fürchtet er denn von Ihnen?«, erkundigte sich Jackson.
»Dass wir ihn mit Gewalt zu Gott bekehren«, antwortete die Frau mit einem nachsichtigen Lächeln. »Ihm die Hände auf dem Rücken binden, damit er zu trinken aufhört. Ihn zwingen, sich zu waschen und sich zu rasieren. Die meisten der Älteren sind überzeugt, es wäre unser geheimes Ziel, sie trocken zu kriegen und zu Bewerbungsgesprächen zu schicken.«
Jackson war amüsiert. »Und das tun Sie nicht?«
Das Lächeln der Frau wurde breiter. »Ab und zu träumen wir ein bisschen davon.«
Das heruntergekommene alte Haus, in dem die Frauengruppe lebte, stand in einer kleinen Seitenstraße, die zur Sanierung vorgesehen war. Es war Teil einer hässlichen Reihenhausanlage aus den 1960ern, das mittlere von neun identischen Exemplaren, alle mit verbretterten Fenstern
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