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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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oder jenes Falles zu erkundigen) und es kaum erwarten konnte, den Akt zu vollziehen, auf den ich so gründlich und so lange vorbereitet worden war, schlug ich vor, der Chiliarch möge eine Zeremonie bei Fackelschein in Erwägung ziehen.
    »Unmöglich. Er muß seinen Spruch überdenken. Wie würde das aussehen? Gar mancher murrt schon, daß der militärische Magistrat vorschnell, ja willkürlich vorgehe. Offengestanden würde ein ziviles Gericht vermutlich eine Woche warten, was dem Angeklagten nur förderlich wäre, weil die Leute genügend Zeit hätten, neue Beweise zu sammeln, was in Wirklichkeit natürlich niemand täte.«
    »Also morgen nachmittag«, sagte ich. »Wir brauchen ein Nachtquartier. Außerdem möchte ich mir das Schafott und den Richtblock anschauen und meinen Klienten vorbereiten. Werde ich für den Kerker einen Passierschein benötigen?«
    Der Amtmann fragte, ob wir nicht im Lazarett nächtigen könnten, und als ich den Kopf schüttelte, gingen wir – der Büttel, Dorcas und ich – in die Krankenanstalt, wo er sich mit dem leitenden Arzt auseinandersetzte, der uns aber, wie ich prophezeit hatte, nicht aufnehmen wollte. Dem folgte ein längerer Wortstreit mit einem Unteroffizier des Xenagie, der erklärte, daß wir auf keinen Fall in den Kasernen bei den Berittenen bleiben und auch kein für Höherrangige reserviertes Zimmer benutzen dürften, weil es dann in Zukunft keiner mehr haben wollte. Schließlich räumte man für uns eine kleine, fensterlose Rumpelkammer aus und richtete sie mit zwei Betten und ein paar Möbeln (die alle schon sehr schäbig waren) ein. Ich ließ Dorcas dort zurück, und nachdem ich mich vergewissert hatte, daß ich im falschen Moment nicht durch ein morsches Brett bräche oder den Kopf meines Klienten, auf den Knien haltend, absägen müßte, begab ich mich in den Kerker, um meine Aufwartung zu machen, wie es bei uns Tradition ist.
    Subjektiv betrachtet, unterscheiden sich Haftanstalten, mit denen man vertraut ist, gewaltig von solchen, die einem fremd sind. Wäre ich nun in unsere Oubliette hinabgestiegen, hätte ich mich buchstäblich als Heimkehrer gefühlt – heimgekehrt, um zu sterben vielleicht, aber immerhin heimgekehrt. Obschon ich mir an und für sich darüber bewußt war, daß unsere verschlungenen Metallkorridore und schmalen grauen Türen für jene, die darin verwahrt wurden, große Schrecken bargen, hätte ich selbst nichts von diesem Grauen gespürt, und hätte man mir vor Augen geführt, daß auch Entsetzen meinerseits angezeigt wäre, hätte ich sofort auf die vielen Annehmlichkeiten hingewiesen – saubere Bettwäsche und genügend Decken, regelmäßige Mahlzeit, ausreichend Licht, Ruhe, die kaum je gestört wurde und so weiter.
    Als ich nun über eine schmale Wendeltreppe in das Gefängnis hinabstieg, daß nur ein Hundertstel der Größe unseres Verlieses hatte, waren meine Gefühle genau das Gegenteil von dem, was ich daheim empfunden hätte. Dunkelheit und Gestank lasteten drückend auf mir. Der Gedanke, daß ich selbst durch einen dummen Zufall hier eingesperrt werden könnte (durch einen mißverstandenen Befehl, zum Beispiel, oder eine ungeahnte Bosheit von seiten des Büttels), befiel mich immer wieder, sooft ich ihn auch verwarf.
    Ich vernahm das Schluchzen einer Frau, und da der Büttel von einem Mann gesprochen hatte, nahm ich an, daß es aus einer anderen Zelle als der meines Klienten käme. Diese, so wurde mir gesagt, sei die dritte von rechts. Ich zählte: eins, zwei und drei. Es handelte sich lediglich um eine hölzerne, mit Eisen beschlagene Tür, deren Schlösser allerdings ( wie tüchtig das Militär doch ist!) frisch geölt waren. Drinnen hörte das Schluchzen fast ganz auf, als ich den Riegel zurückschob.
    Ein nackter Mann lag auf Stroh. Er war mit einem eisernen Halsband an die Wand gekettet. Eine Frau, ebenfalls nackt, beugte sich über ihn, wobei ihr langes braunes Haar, locker fallend, ihre Gesichter bedeckte, daß sie wie zusammengewachsen wirkten. Als sie den Kopf herumwarf, sah ich, daß es Agia war.
    Sie zischelte: »Agilus!«, und der Mann setzte sich auf. Ihre Gesichter waren einander so ähnlich, als hätte Agia sich einen Spiegel vor das ihre gehalten.
    »Du bist's gewesen?« sagte ich. »Aber das ist ja unmöglich!« Noch während ich sprach, fiel es mir wieder ein, Agias Verhalten auf dem Blutacker und das schwarze Band, das ich am Ohr des Hipparchen gesehen hatte.
    »Du«, sagte Agia. »Weil du lebst, muß er sterben.«

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