Der Schatten des Folterers
wie ich es (als Teilnehmer) erlebte, würde ich nur Verwirrung stiften. Wenn ich es beschreibe, wie es das Publikum erlebt hat (was ich an einer geeigneteren Stelle in dieser Erzählung zu tun gedenke) wird mir wohl keiner glauben. In einem Drama mit fünf Schauspielern, von denen zwei für diese Premiere die Rollen nicht gelernt hatten, marschierten Armeen auf, musizierten Orchester, fiel Schnee und bebte die Urth. Dr. Talos stellte hohe Ansprüche an die Phantasie seines Publikums; aber er half der Phantasie nach durch seine Schilderungen, durch einfache, wenn auch geniale Apparate, Schattenbilder auf Leinwänden, durch holographische Projektionen, Geräuschaufzeichnungen, spiegelnden Hintergrund in mehrfacher Ausführung und alle möglichen Kniffe, womit er im großen ganzen erstaunlich erfolgreich war, was die Schluchzer, Schreie und Seufzer, die uns hin und wieder aus der Dunkelheit zuflogen, bewiesen.
Trotz dieses Triumphes schlug seine Absicht fehl. Denn sein Wunsch war es, etwas mitzuteilen, eine große Geschichte zu erzählen, die nur in seinem Kopf existierte und sich nicht in gewöhnliche Sprache umsetzen ließ. Keiner, der je seiner Darbietung beiwohnte – geschweige denn wir, die wir auf seiner Bühne agierten und nach seinem Geheiß sprachen – hatte nachher wohl eine klare Vorstellung, wovon die Geschichte handelte. Sie ließ sich nur (wie Dr. Talos sagte) durch Glockengeläute und donnernde Explosionen ausdrücken, zuweilen auch durch rituelle Posen. Wie sich jedoch zum Schluß herausstellte, ließ sie sich nicht einmal damit darstellen. Es gab eine Szene, in der Dr. Talos und Baldanders kämpften, bis beiden das Blut übers Gesicht rann; in der anderen suchte Baldanders in der Kammer eines unterirdischen Palastes die zu Tode erschrockene Jolenta (so hieß die schönste Frau der Welt) und setzte sich schließlich auf die Truhe, in der sie sich verborgen hielt. Im letzten Aufzug gehörte mir die Bühnenmitte, als ich ein peinliches Verhör leitete, während Baldanders, Dr. Talos, Jolenta und Dorcas auf verschiedene Martergeräte geflochten waren. Vor den Augen des Publikums unterzog ich sie reihum einer höchst bizarren und wirkungslosen (wäre sie echt gewesen) Folter. In dieser Szene entging es mir nicht, wie sich unter den Zuschauern ein eigenartiges Raunen erhob, als ich scheinbar alle Vorkehrungen traf, Dorcas die Beine auszurenken. Obschon ich es nicht bemerkte, bekamen sie währenddessen mit, daß Baldanders sich befreite. Mehrere Frauen schrien auf, als seine Ketten klirrend zu Boden fielen; ich blickte verstohlen zu Dr. Talos, um Anweisungen zu erhalten, aber dieser hüpfte bereits zur Rampe, nachdem er sich mit noch größerer Leichtigkeit seiner Fesseln entledigt hatte.
»Tableau«, rief er. »Tableau alle Mann!« Ich erstarrte mitten in der Bewegung, denn das war's, was er damit meinte. »Verehrtes Publikum, ihr habt unser kleines Spiel hübsch aufmerksam verfolgt. Doch bitt' ich euch, nicht nur eure Zeit, sondern auch ein wenig aus euren Börsen zu opfern. Zum Schluß des Stückes werdet ihr erleben, was geschieht, nachdem der Unhold sich endlich befreit hat.« Dr. Talos hielt seinen großen Hut ins Publikum, und ich hörte ein paar Münzen klimpern. Unzufrieden sprang er von der Bühne und schritt durch die Zuschauerreihen. »Und wohlgemerkt, ist er erst frei, steht nichts mehr zwischen ihm und der Erfüllung seiner blutrünstigen Gelüste. Bedenkt, daß ich, sein Peiniger, nun in Ketten liege und ihm ausgeliefert bin. Bedenkt, daß ihr noch nicht wißt – danke, Sieur –, wer die mysteriöse Gestalt ist, welche die Contessa durch die verhangenen Fenster erblickt hat. Danke. Daß über dem Burgverlies, wie ihr seht, die weinende Statue – danke – immer noch unter der Eberesche gräbt. Kommt, ihr seid sehr großzügig mit eurer Zeit gewesen. Nun bitten wir auch, daß ihr mit eurem Geld nicht kleinlich seid. Ein paar haben uns wahrhaft fürstlich beschenkt, aber wir spielen nicht nur für ein paar. Wo sind die glänzenden Asimi von den übrigen, die längst meinen Hut hätten füllen sollen? Ein paar wenige sollen nicht für alle zahlen! Habt ihr keine Asimi, dann Orikalken; habt ihr keine solchen, so hat doch jeder zumindest ein Aes einstecken!«
Schließlich war eine ausreichende Summe beisammen, und Dr. Talos schwang sich auf die Bühne zurück und legte flink die Fesseln wieder an – stachelige Schellen, die ihn scheinbar unentrinnbar festklammerten. Baldanders brüllte und
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