Der Schatten des Folterers
zurück, wo Drotte noch an der Frau, die sich hatte umbringen wollen, hantierte und kam mit seinen Schlüsseln wieder.
Als ich dann vor ihr stand und die Zellentür hinter mir geschlossen und abgesperrt war, brachte ich kein Wort über die Lippen. Ich legte die Bücher auf ihren Tisch neben den Kerzenleuchter und den Tiegel mit ihrem Essen und die Wasserkaraffe; es war kaum Platz dafür. Daraufhin blieb ich wartend stehen, obwohl ich wußte, daß ich hätte gehen sollen, was ich aber nicht über mich brachte.
»Willst du dich nicht hinsetzen?«
Ich setzte mich, ihr den Stuhl überlassend, aufs Bett.
»Wenn dies meine Suite im Haus Absolut wäre, könnte ich dir mehr Komfort anbieten. Leider hast du mich nie besucht, solange ich dort gewohnt habe.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Hier kann ich dir keine andere Erfrischung anbieten. Magst du Lauch?«
»Ich will nichts essen, Chatelaine. Bald bekomme ich selbst das Abendessen, und das hier reicht kaum für Euch.«
»Stimmt.« Sie las ein Stück Lauch auf und ließ es, als wüßte sie nichts anderes damit anzufangen, in den Mund gleiten wie ein Scharlatan, der eine Schlange verschluckt. »Was gibt's bei dir?«
»Lauch und Linsen, Brot und Hammel.«
»Aha, die Folterer bekommen Hammelfleisch – das ist der Unterschied. Wie heißt du, Foltermeister?«
»Severian. Es hilft nichts, Chatelaine. Es wird keinen Unterschied machen.«
Sie lächelte. »Was denn?«
»Daß Ihr meine Freundschaft sucht. Ich kann Euch nicht die Freiheit geben. Und ich würd's nicht – selbst wenn Ihr mein einziger Freund in der ganzen Welt wäret.«
»Ich rechnete nicht damit, daß du's könntest, Severian.«
»Warum dann diese Umstände mit mir?«
Sie seufzte, und alle Freude wich aus ihrem Antlitz, wie das Sonnenlicht von dem Stein verschwindet, auf dem sich ein Bettler wärmt. »Wen sonst habe ich zum Reden, Severian? Vielleicht kann ich eine Weile, ein paar Tage oder Wochen mit dir reden, bevor ich sterbe. Ich weiß, was du denkst – daß ich nicht einmal einen Blick für dich übrig hätte, wohnte ich noch in meiner Suite. Aber du irrst. Man kann nicht mit jedermann reden, weil es so viele Jedermann gibt, aber am Tag vor meiner Verhaftung habe ich eine Zeitlang mit dem Pfleger meines Reittiers geredet. Ich unterhielt mich mit ihm, weil ich warten mußte, und er gab interessante Dinge von sich.«
»Ihr werdet mich nicht wiedersehen. Drotte wird Euch das Essen bringen.«
»Nicht du? Frag ihn, ob du's darfst!« Sie legte meine Hände in die ihrigen, eiskalten. »Ich probier's«, antwortete ich.
»Bitte, bitte probier's! Sag ihm, ich möchte bessere Kost und daß du es mir bringst – warte, ich frage ihn selbst. Wem untersteht er?«
»Meister Gurloes.«
»Ich sage dem anderen – heißt er Drotte? –, daß ich ihn sprechen will. Du hast recht, das müssen sie tun. Der Autarch könnte mich begnadigen – das wissen sie nicht.« Ihre Augen blitzten auf.
»Ich richte Drotte aus, daß Ihr ihn sprechen wollt, wenn er Zeit hat«, versprach ich und stand auf.
»Warte. Willst du mich nicht fragen, warum ich hier bin?«
»Ich weiß, warum Ihr hier seid«, versetzte ich, als ich die Tür wieder schloß. »Um schließlich gefoltert zu werden wie die übrigen.« Eine grausame Antwort, die ich ohne Überlegung von mir gab, wie man das in jungen Jahren oft tut, nur weil mir dieser Gedanke eben durch den Kopf ging. Trotzdem eine wahre, und als ich den Schlüssel umdrehte, war ich irgendwie erleichtert, es gesagt zu haben.
Wir hatten früher schon oft Beglückte als Klienten gehabt. Die meisten hatten bei ihrer Ankunft eine gewisse Vorstellung vom Ernst ihrer Lage, wie nun auch die Chatelaine Thecla. Aber kaum waren ein paar Tage verstrichen, ohne daß sie der Folter unterzogen worden waren, übermannte die Hoffnung ihre Einsicht, und sie begannen von der Freilassung zu sprechen – daß Freunde und Angehörige geschickt ihre Begnadigung erwirken würden und was sie alles täten, wären sie wieder frei.
Man zöge sich auf sein Anwesen zurück und bereitete dem Hof des Autarchen keine Ärgernisse mehr. Ein anderer wollte freiwillig einrücken, um einen Landsknechthaufen nach Norden zu führen. Die diensttuenden Gesellen in der Oubliette bekamen dann immer Geschichten von Jagdhunden, von entlegenen Heiden und von ländlichen Spielen, die anderswo unbekannt seien und unter steinalten Bäumen ausgetragen würden. Die Frauen waren größtenteils realistischer, aber selbst sie redeten
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