Der Schatten des Folterers
Alter war – oder ein bißchen jünger –, bildete ich mir ein, ein Beglückter zu sein. Einige sind's gewesen, weißt du.«
Mir kam, und nicht zum ersten Mal, in den Sinn, daß auch Meister Gurloes und Meister Palaemon wissen mußten, woher alle Lehrlinge und jüngeren Gesellen stammten, denn sie hatten ja ursprünglich die Aufnahme zu billigen.
»Ob ich einer bin, das kann ich nicht sagen. Ich habe den Körperbau eines Reiters, denke ich, und ich bin etwas größer als der Durchschnitt, trotz meiner harten Kindheit. Denn es war härter, viel härter vor vierzig Jahren, sage ich dir.«
»Ich habe davon gehört, Meister.«
Er keuchte pfeifend, was sich anhörte wie zuweilen ein Lederpolster beim Daraufsetzen. »Aber im Laufe der Zeit habe ich gelernt, daß der Increatus, der für mich eine Laufbahn in unserer Zunft vorsah, zu meinem Besten handelte. Gewiß habe ich mir Verdienste in einem früheren Leben erworben, wie ich es auch für das jetzige hoffe.«
Meister Gurloes fiel in Schweigen und betrachtete (wie es mir schien) den Papierberg auf seinem Tisch, die Weisungen der Juristen und die Akten der Klienten. Als ich schon fragen wollte, ob er mir noch etwas zu sagen habe, fuhr er schließlich fort: »In all meinen Jahren ist mir nie bekannt geworden, daß ein Mitglied der Zunft einer Folter unterzogen worden ist. Und ich kannte ihrer wohl mehrere hundert.«
Ich erlaubte mir, die Redensart zu äußern, lieber eine unter einem Stein versteckte Kröte als ein unter ihm zermalmter Schmetterling zu sein.
»Wir von der Zunft sind mehr als Kröten, glaube ich. Aber ich hätte noch hinzufügen sollen, daß ich zwar an die fünfhundert oder mehr Beglückte in unseren Zellen sah, darunter bis jetzt nie jedoch eine vom innersten Kreis der dem Autarchen nächststehenden Konkubinen in Händen hatte.«
»Die Chatelaine Thecla gehörte dazu? Ihr habt das vorhin angedeutet, Meister.«
Er nickte schwermütig. »Es wäre nicht so schlimm, wenn sie unverzüglich der Folter unterzogen würde, aber das soll nicht geschehen. Es können Jahre vergehen. Es mag nie passieren.«
»Glaubt Ihr, daß sie freigelassen wird, Meister?«
»Sie ist ein Faustpfand im Spiel des Autarchen mit Vodalus – soviel weiß sogar ich. Ihre Schwester, die Chatelaine Thea, ist vom Haus Absolut geflohen, um seine Buhle zu werden. Sie werden zumindest eine Zeitlang um Thecla feilschen, und solange müssen wir ihr eine gute Behandlung zukommen lassen. Wenn auch keine zu gute.«
»Ich verstehe«, sagte ich. Plötzlich beunruhigte mich, daß ich nicht wußte, was die Chatelaine Thecla über mich zu Drotte und was Drotte Meister Gurloes erzählt hatte.
»Sie bat um besseres Essen, und ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen. Sie bat ebenfalls um Gesellschaft, und nachdem sie erfahren hatte, daß Besuch nicht gestattet werde, drängte sie darauf, daß wenigstens einer von uns ihr ab und zu Gesellschaft leiste.«
Meister Gurloes legte eine Pause ein, um sich das glänzende Gesicht mit dem Mantelsaum abzuwischen. Ich sagte: »Ich verstehe.« Ich war ziemlich sicher, daß ich tatsächlich ahnte, was gleich kommen würde.
»Weil sie dein Gesicht gesehen hat, hat sie dich verlangt. Ich versprach ihr, du werdest während ihrer Mahlzeiten bei ihr sein. Ich verlange keine Zustimmung von dir – nicht nur, weil du an meine Weisungen gebunden bist, sondern auch weil ich um deine Loyalität weiß. Worum ich bitte ist, dich davor zu hüten, ihr zu mißfallen, aber auch ihr nicht übermäßig gefällig zu sein.«
»Ich werde mein Bestes tun.« Daß sich meine Stimme so ruhig anhörte, überraschte mich.
Meister Gurloes lächelte, als hätte ich ihn erleichtert. »Du bist ein kluger Kopf, Severian, auch wenn dein Kopf noch jung ist. Hast du schon eine Frau gehabt?«
Wenn wir Lehrlinge uns unterhielten, erfanden wir zu diesem Thema für gewöhnlich Märchen, aber da ich nun nicht unter Lehrlingen war, schüttelte ich den Kopf.
»Du bist nie bei den Hexen gewesen? Um so besser. Sie besorgten meine eigene Einführung in dieses warme Geschäft, aber ich weiß nicht, ob ich ihnen wieder so einen, wie ich's gewesen bin, schicken würde. Jedoch ist es gut möglich, daß die Chatelaine ihr Bett gewärmt haben will. Das darfst du nicht. Ihre Schwangerschaft wäre keine gewöhnliche – sie könnte die Aufschiebung der Folter erforderlich machen und Schande über die Zunft bringen. Hast du mich verstanden?«
Ich nickte.
»Knaben in deinem Alter sind geplagt. Ich
Weitere Kostenlose Bücher