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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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schließlich von hochgestellten Liebhabern (vor Monaten oder Jahren verworfen) die sie nie im Stich ließen, und dann von Kindern, die sie gebären oder adoptieren würden. Wenn diese für immer ungeborenen Kinder Namen bekamen, wußte man, daß die Kleidung nicht mehr fern war: eine neue Garderobe zur Freilassung, die alten Gewänder in den Ofen; sie plauderten über Farben, die Erfindung neuer Moden und die Wiederbelebung alter.
    Schließlich käme sowohl für die Männer als auch die Frauen die Stunde, wo anstelle eines Gesellen mit dem Essen Meister Gurloes mit einem Gefolge von drei oder vier Gesellen und vielleicht einem Examinator und Fulgurator erschiene. Ich wollte die Chatelaine Thecla vor solchen Hoffnungen bewahren, wenn ich konnte. Ich hängte Drottes Schlüssel an den üblichen Nagel an der Wand und als ich an der Zelle vorüberkam, in der er nun das Blut vom Boden aufwischte, teilte ich ihm mit, daß die Chatelaine ihn sprechen wolle.
    Am übernächsten Tag wurde ich zu Meister Gurloes gerufen. Ich hatte erwartet, in der für uns Lehrlinge gewohnten Weise mit den Händen hinter dem Rücken vor seinem Pult stehen zu müssen; aber er forderte mich zum Hinsetzen auf, nahm seine goldgefaßte Maske ab und neigte sich mir zu, als wollte er ein gemeinsames Anliegen freundschaftlich angehen.
    »Kürzlich schickte ich dich zum Archivar«, begann er. Ich nickte.
    »Als du die Bücher brachtest, überreichtest du sie doch selbst dem Klienten?«
    Ich erklärte, was geschehen war.
    »Nichts verkehrt daran. Du sollst nicht glauben, du bekämest dafür besondere Mühsale aufgetragen oder würdest gar übers Knie gelegt. Du bist fast schon ein Geselle – als ich in deinem Alter war, mußte ich die Kurbel des Alternators drehen. Weißt du, Severian, es geht darum, daß die Klientin von hohem Rang ist.« Er senkte die Stimme zu einem rauhen Flüstern. »Mit recht einflußreichen Beziehungen.«
    Ich sagte, das sei mir klar.
    »'s ist nicht nur eine Waffenträgerfamilie. Blaues Blut.« Er wandte sich um und fand nach einigem Suchen in den unordentlichen Regalen hinter seinem Stuhl ein plattgedrücktes Buch. »Hast du eine Ahnung, wieviele beglückte Familien es gibt? Das hier ist ein Verzeichnis der noch vorhandenen. Ein Kompendium der ausgelöschten hätte den Umfang einer Enzyklopädie. Ein paar habe ich selbst ausgelöscht.«
    Er lachte, und ich lachte mit ihm.
    »Einer jeden ist etwa eine halbe Seite eingeräumt. Seiten sind es 746.« Ich nickte zum Zeichen, daß ich ihn verstand.
    »Die meisten haben niemanden bei Hofe – können es sich nicht leisten oder fürchten sich davor. Das sind die kleinen. Die größeren Familien sind dazu gezwungen: der Autarch wünscht, eine Konkubine zu haben, an die er Hand anlegen kann, wenn sie sich Fehltritte erlauben. Nun kann aber der Autarch nicht mit fünfhundert Mädchen Quadrille tanzen. Dafür hat er etwa zwanzig. Die übrigen reden und tanzen miteinander und sehen ihn höchstens einmal im Monat aus einer Kette Entfernung.«
    Ich fragte (wobei ich mich bemühte, ruhig zu sprechen), ob der Autarch tatsächlich mit diesen Konkubinen das Lager teile.
    Meister Gurloes rollte die Augen und zupfte mit seiner mächtigen Hand an seinem Kinn herum. »Nun, aus Gründen des Anstands haben sie diese Khaibits, wie sie ihre Doppelgängerinnen nennen. Das sind gewöhnliche Mädchen, die wie die Chatelaines aussehen. Ich weiß nicht, woher sie diese bekommen, jedenfalls müssen sie an ihre Stelle treten. Natürlich sind sie nicht von so hohem Wuchs.« Er schmunzelte.
    »An ihre Stelle treten, sagte ich; wenn sie sich allerdings hinlegen, spielt die Größe wohl keine so entscheidende Rolle mehr. Jedoch hört man oft, daß es gerade umgekehrt gehalten wird. Statt daß die Doppelgängerin für ihre Herrin der Pflicht nachkommt, tut die Herrin für sie der Pflicht Genüge. Aber beim jetzigen Autarchen – dessen Taten allesamt, so darf ich sagen, süßer als Honig im Mund dieser ehrwürdigen Zunft sind, und vergiß mir das nicht! – in seinem Fall, darf ich sagen, ist es, soweit ich weiß, mehr als fraglich, ob eine davon mit ihm das Vergnügen hat.«
    Erleichtert atmete ich auf. »Das habe ich nicht gewußt. Es ist sehr interessant, Meister.«
    Meister Gurloes neigte das Haupt, um zu bekräftigen, daß es dies fürwahr sei, und strich sich mit den Fingern über den Bauch. »Eines Tages hast du selbst vielleicht die Leitung der Zunft inne. Du mußt diese Dinge also wissen. Als ich in deinem

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