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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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nach meiner. »Bei den Novizen religiöser Orden sagt man: ›Du bleibst Novize ein Leben lang.‹ Damit beziehen sie sich nicht nur auf das Wissen, sondern auf ihr Chrisam, dessen zwar unsichtbares Mal unauslöschbar ist. Du kennst unser Chrisam.«
    Wieder nickte ich. »Es läßt sich sogar noch schlechter wegwaschen. Solltest du jetzt gehen, wird man nur sagen: ›Er wurde bei den Folterern aufgezogen.‹ Aber wenn du gesalbt bist, wird man sagen: ›Er ist ein Folterer.‹ Du kannst dem Pflug oder den Trommeln folgen, du wirst immer nur hören: ›Er ist ein Folterer.‹ Verstehst du das?«
    »Ich möchte nichts anderes hören.«
    »Das ist gut«, erwiderte Meister Gurloes, und plötzlich lächelten sie beide, wobei Meister Palaemon seine wenigen alten, schiefen Zähne und Meister Gurloes seine eckigen gelben, die an einen verendeten Klepper erinnerten, zeigten. »Dann ist es Zeit, daß wir dir das letzte Geheimnis erklären.« (Ich kann die Betonung, die seine Stimme den Worten verliehen hat, jetzt noch hören, wo ich das niederschreibe.)
    »Denn es wäre gut, du könntest dir vor der Feier noch Gedanken darüber machen.«
    Dann erläuterten er und Meister Palaemon mir jenes Geheimnis, welches das Herz der Gilde berührt und um so heiliger ist, als es in keiner Liturgie zelebriert wird und nackt im Schoß des Pankreators liegt.
    Und sie vereidigten mich, es niemals zu enthüllen, außer – wie sie selbst – einem in die Mysterien der Zunft Eintretenden. Ich habe diesen Eid inzwischen gebrochen wie auch viele andere Schwüre.

Das Fest
    Unser Patrozinium fällt in die letzten Winterwochen. Dann wird fröhlich gefeiert: die Gesellen bieten reihum ihren hüpfenden, großartigen Schwerttanz dar; die Meister erleuchten die verfallene Kapelle am Großen Platz mit tausend Duftkerzen, und wir bereiten unser Fest.
    In der Zunft bezeichnet man das Fest als hoch (wenn ein Geselle zum Meister erhoben wird), als minder (wenn wenigstens ein Lehrling Geselle wird) oder als klein (wenn keine Erhebung begangen wird). Da in dem Jahr, in dem ich Geselle wurde, keiner zum Meister aufstieg – was nicht zu verwundern braucht, da solche Ereignisse seltener als Jahrzehnte sind – war die Zeremonie meiner Maskierung ein minderes Fest.
    Trotzdem dauerten die Vorbereitungen Wochen. Ich habe mir sagen lassen, daß ganze 135 Gilden innerhalb der Zitadellenmauern vertreten sind. Davon haben einige (wie wir es bei den Kuratoren gesehen haben) zu wenige Mitglieder, um den Jahrestag ihres Schutzheiligen in der Kapelle abzuhalten; sie schließen sich also ihren Brüdern in der Stadt an. Die größeren gestalten ihr Fest so prunkvoll wie möglich, um ihre Wertschätzung zu erhöhen. Dazu zählen die Soldaten am Hadrianstag, die Kanoniere an St. Barbara, die Hexen an St. Mag und viele mehr. Durch Umzüge, wunderbare Kunststücke und freies Essen und Trinken versuchen sie, so viele wie möglich außenstehende Zuschauer anzulocken.
    Anders verhält es sich bei den Folterern. Kein Nichtmitglied der Zunft hat seit über dreihundert Jahren, als ein Gardeleutnant (so sagt man) eine Wette eingegangen ist, am Fest der Hl. Katharina mit uns getafelt. Man hört allerlei müßiges Geschwätz darüber, was ihm widerfahren sei – so hätten wir ihn in unserer Runde auf einem Stuhl aus glühendem Eisen Platz nehmen lassen. Nichts davon ist wahr.
    Gemäß dem Brauchtum unserer Zunft wurde er willkommen geheißen und festlich bewirtet; aber weil wir bei Fleischspeise und Katharinenkuchen nicht über die von uns zugefügten Schmerzen sprachen oder neue Foltermethoden entwarfen oder die von uns Enthäuteten dafür verfluchten, zu schnell gestorben zu sein, wurde er immer furchtsamer, weil er sich dachte, wir wollten ihn nur einlullen, um ihn anschließend zu ergreifen. Dies denkend, aß er wenig und trank viel, stürzte auf dem Weg in die Quartiere und schlug so unglücklich mit dem Kopf auf, daß er hinfort immer wieder den Verstand verlor und heftige Pein erlitt. Schließlich richtete er die Mündung seiner Feuerwaffe in seinen Mund, aber das war nicht unser Werk.
    So kommen also am Tag der Hl. Katharina ausschließlich Folterer in die Kapelle. Dennoch bereiten wir uns (in dem Wissen, von hohen Fenstern beobachtet zu werden) wie alle anderen und prächtiger. Vor der Kapelle funkeln unsere Weine wie Juwelen im Schein von hundert Fackeln; unsere Rinder schmoren und wenden sich im Saft und rollen ihre Augen aus gebratenen Zitronen; Capybaras und Agutis in

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