Der Schatten des Folterers
Lebenspose und Pelz, worin in der abgedeckten Haut gebackene Kokosnüsse stecken, erklettern Schinkenkeulen und aufgeschichtete Laiber frischen Brotes.
Unsere Meister, derer es, als ich Geselle geworden bin, nur zwei gegeben hat, kommen in Sänften mit Vorhängen aus geflochtenen Blumen und schreiten über aus bunten Steinchen gelegte Teppiche, welche die Tradition der Zunft darstellen und Korn für Korn in tagelanger mühsamer Arbeit von den Gesellen gelegt worden sind, von den Füßen der Meister aber augenblicklich zerstört werden.
In der Kapelle warten ein großes, mit Nägeln versehenes Rad, eine Jungfrau und ein Schwert. Dieses Rad kannte ich gut, denn als Lehrling hatte ich mehrmals geholfen, es aufzustellen und herunterzutragen. Es wurde im oberen Teil des Turmes direkt unter der Geschützkammer aufbewahrt, wenn es außer Gebrauch war. Das Schwert – das aus ein, zwei Schritt Entfernung zwar wie eine echte Henkerklinge wirkte – war nicht mehr als eine Holzleiste, versehen mit einem alten Heft und mit Flitterwerk verziert.
Über die Jungfrau kann ich euch nichts berichten. In meiner frühesten Kindheit habe ich mir keinerlei Gedanken über sie gemacht; das sind die frühesten Feste, an die ich mich erinnern kann. Als ich etwas älter und Gildas (der in der Zeit, von der ich schreibe, längst Geselle ist) unser Lehrlingswart war, hielt ich sie für eine der Hexen. Ein Jahr später wurde mir klar, daß eine solche Respektlosigkeit unduldbar wäre.
Vielleicht war sie eine Magd aus einem entlegenen Teil der Zitadelle. Vielleicht war sie eine Bürgerin der Stadt, die für ein Entgelt oder wegen einer alten Verbindung zu unserer Zunft die Rolle übernahm; ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß sie bei jedem Fest zur Stelle war, ohne sich, soweit ich das beurteilen konnte, verändert zu haben. Sie war groß und schlank, doch nicht so groß oder schlank wie Thecla, und hatte eine dunkle Haut, dunkle Augen und rabenschwarzes Haar. Ihr Antlitz war, wie ich es sonst nirgendwo gesehen, wie ein klarer Teich inmitten eines Waldes.
Sie stand zwischen dem Rad und dem Schwert, während Meister Palaemon (als ältester unserer Meister) von der Gründung unserer Zunft und unseren Vorläufern in den Jahren vor dem großen Eis berichtete – wobei er diesen Teil gemäß seinem erzieherischen Ermessen jährlich anders gestaltete. Still blieb sie auch, als wir das Lied der Angst sangen, die Hymne unserer Zunft, die wir Lehrlinge auswendig lernen müssen, die aber nur an diesem Tag des Jahres angestimmt wird. Still blieb sie auch, als wir uns zum Gebet im verfallenen Kirchgestühl niederknieten.
Dann begannen die Meister Gurloes und Palaemon, unterstützt von einigen älteren Gesellen, mit ihrer Legende. Bald sprach nur einer, bald riefen alle im Chor; bald sprachen zwei nebeneinander her, während die anderen auf Flöten, die aus Oberschenkelknochen geschnitzt waren, oder auf dem dreisaitigen Rebec, das schrill wie ein Mensch kreischt, spielten.
Mit ihrer Darbietung an die Stelle gelangt, wo unsere Patronin von Maxentius verurteilt wird, stürzten vier maskierte Gesellen vor, um sie zu ergreifen. So still und gelassen sie vorher auch gewesen war, nun wehrte sie sich, um sich schlagend und schreiend. Als man sie aber zum Rad trug, verwandelte sich dieses offenbar. Im Kerzenlicht schienen sich darauf Nattern zu winden, grüne Riesenschlangen mit funkelnden Köpfen in Scharlachrot, Zitronengelb und Weiß. Dann war zu erkennen, daß es sich hierbei um Blumen handelte, um knospende Rosen. Als die Jungfrau nur noch einen Schritt entfernt war, blühten diese auf (es waren, wie ich wußte, zwischen den Radspeichen verborgene Papierrosen). Angst vortäuschend, wichen die Gesellen zurück, aber Gurloes, Palaemon und die anderen, die nun gemeinsam als Maxentius sprachen, trieben sie weiter.
Dann trat ich, noch ohne Maske und in Lehrlingstracht, vor und sagte: »Widerstand ist zwecklos. Man wird dir auf dem Rad die Gebeine brechen, aber eine weitere Schande wollen wir dir nicht antun.«
Die Jungfrau blieb stumm, streckte jedoch die Hand aus und berührte das Rad, welches sofort in Stücke zerfiel und klappernd auf dem Boden aufschlug. Seine Rosen waren verschwunden.
»Enthauptet sie«, befahl Maxentius, und ich nahm das Schwert. Es war sehr schwer.
Sie kniete sich vor mich. »Du bist Ratgeber der Allwissenheit«, sagte ich. »Obwohl ich dich töten muß, bitte ich dich, mein Leben zu schonen.«
Zum ersten Mal sprechend,
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