Der Schatten des Folterers
wollte dir gerade so gute Ratschläge für deine Reise geben. Nun mußt du ohne sie auskommen, aber gewiß hättest du sowieso alles vergessen. Du weißt von den Straßen?«
»Ich weiß, daß sie nicht benützt werden dürfen. Mehr nicht.«
»Der Autarch Maruthas hat sie gesperrt. Das geschah, als ich dein Alter hatte. Das Reisen fördert Aufstände, und er wollte, daß alle Waren die Stadt über den Fluß verließen und betraten, denn dies erleichterte die Verzollung. Das Gesetz ist seither in Kraft, und angeblich steht alle fünfzig Meilen eine Schanze. Doch die Straßen gibt es noch. Obwohl sie in schlechtem Zustand sind, werden sie, wie man hört, von einigen bei Nacht benutzt.«
»Ich sehe«, sagte ich. Ob gesperrt oder nicht, die Straßen ermöglichten ein leichteres Vorankommen als das Reisen durchs Gelände, wie es das Gesetz vorschrieb.
»Ich bezweifle, ob du das tust. Ich will dich vor ihnen warnen. Sie werden von Ulanen patroulliert, die Weisung haben, alle darauf Angetroffenen zu töten, und da diesen gestattet ist, die Erschlagenen auszuplündern, sind sie wenig geneigt, Ausflüchte hinzunehmen.«
»Ich verstehe«, erklärte ich ihm, während ich mich wunderte, woher er so viel über das Reisen wußte.
»Gut. Der Tag ist schon zur Hälfte vorüber. Wenn du magst, kannst du heute noch hier schlafen und morgen früh aufbrechen.«
»In meiner Zelle schlafen, meint Ihr?«
Er nickte. Obwohl ich wußte, daß er mein Gesicht kaum sehen konnte, spürte ich, daß etwas in ihm mich musterte.
»Dann werde ich gleich aufbrechen.« Ich überlegte, was ich noch zu tun hätte, ehe ich unserm Turm für immer den Rücken kehrte; es fiel mir nichts ein, dennoch, so schien mir, gäbe es bestimmt noch etwas.
»Bekomme ich eine Wache Zeit zum Vorbereiten? Danach werd' ich gehn.«
»Ohne weiteres. Aber bevor du aufbrichst, komm bitte noch einmal zu mir – ich möchte dir etwas geben. Tust du das?«
»Natürlich Meister, wenn Ihr's wünscht.«
»Und Severian, sei auf der Hut! Es gibt viele in der Zunft, die deine Freunde sind – die wünschen, das wäre nie geschehen. Aber es gibt andere, die glauben, du habest unser Vertrauen mißbraucht und verdientest Pein und Tod.«
»Danke, Meister«, entgegnete ich. »Die letzteren haben recht.«
Meine wenigen Habseligkeiten befanden sich bereits in meiner Zelle. Ich packte sie zu einem Bündel zusammen, welches so klein wurde, daß ich es in der an meinem Gürtel hängenden Tasche verstauen konnte. Von Liebe und Bedauern des Gewesenen bewegt, suchte ich Theclas Zelle auf.
Sie war noch unbelegt. Ihr Blut war vom Boden geschrubbt worden, aber ein großer, dunkler rostigroter Fleck hatte sich ins Metall geätzt. Ihre Kleidung war ebenso wie ihre Kosmetikutensilien entfernt worden. Die vier Bücher, die ich ihr vor einem Jahr gebracht hatte, standen noch zusammen mit anderen auf dem Tischchen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, mir eins davon zu nehmen; in der Bibliothek gab es so viele, daß man einen Band nicht vermissen würde. Meine Hände hatten nach vorn gegriffen, ehe ich erkannte, daß ich gar nicht wußte, welches ich wählen sollte. Das Wappenbuch war zwar das schönste, aber viel zu unhandlich für eine Reise übers Land. Das Theologiebuch war das allerkleinste, aber das mit dem braunen Einband war nicht viel größer. Schließlich nahm ich dieses, mit seinen Geschichten von untergegangenen Welten.
Dann stieg ich die Treppe unseres Turmes empor, vorbei an den Rumpelkammern bis zum Kanonenraum, wo die Belagerungsgeschütze auf kraftstrotzenden Gestellen ruhten. Und noch höher bis zum Zimmer mit dem Glasdach, den grauen Schirmen und seltsam verzerrten Stühlen, und weiter über eine schlanke Leiter, bis ich auf den schlüpfrigen Platten selbst stand, wo mein Erscheinen erschreckte Schwarzdrosseln wie Rußflocken in den Himmel aufflattern ließ und unser schwarzer Wimpel schnalzend an seiner Stange über meinem Kopf im Winde wehte.
Der Alte Hof unter mir wirkte klein, sogar eng, aber unendlich behaglich und traut. Der Bruch in der Ringmauer war größer, als ich je geahnt hatte, obschon zu beiden Seiten der Rote und der Bärenturm noch stolz und mächtig aufragten. Dem unsern am nächsten stand der schlanke, dunkle und hohe Hexenturm; einen Moment lang trug der Wind ein paar Fetzen ihres ausgelassenen Gelächters zu mir herüber, und ich empfand die alte Angst, obschon wir Folterer immer auf freundschaftlichem Fuß mit den Hexen, unseren Schwestern,
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