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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Schneide mit dem Daumen prüfen sah. »Um derer willen, die dir übergeben werden, sieh zu, daß es so bleibt. Meine Frage ist, ob es kein zu gewichtiger Gefährte für dich ist. Heb es und schau!«
    Ich nahm das Terminus Est, wie ich das falsche Schwert bei meiner Erhöhung in die Hand genommen hatte, und hob es über meinen Kopf, wobei ich aufpaßte, nicht die Decke zu streifen. Es schwankte überlastig, als kämpfte ich mit einer Riesenschlange.
    »Du tust dich nicht schwer damit?«
    »Nein, Meister. Aber es kippelte beim Hochhalten.«
    »Im Innern der Klinge befindet sich eine Röhre mit fließendem Hydragyrum – einem Metall, das schwerer als Eisen aber flüssig wie Wasser ist. Also verlagert sich der Schwerpunkt zur Hand hin, wenn die Klinge nach oben zeigt, und in Richtung Spitze, wird sie gesenkt. Oft wirst du den Schluß eines Gebetes oder ein Handzeichen des Quästors abwarten müssen. Dein Schwert darf nicht wackeln oder sich in deiner erlahmten Hand neigen – aber das weißt du alles. Ich brauche dir nicht zu sagen, daß du ein solches Werkzeug in Ehren halten mußt. Moira sei mit dir, Severian.«
    Ich nahm den Wetzstein aus dem Säckchen in der Scheide und legte ihn in meine Gürteltasche, faltete den Brief an den Archon von Thrax, den er mir gegeben hatte, wickelte ihn in ein geöltes Seidentuch und gab ihn der Obhut meines Schwertes anheim. Sodann nahm ich von ihm Abschied.
    Die breite Klinge hinter die linke Schulter gegürtet, durchschritt ich die Totenpforte und gelangte auf den windigen Leichenacker unserer Nekropolis. Der Posten am unteren Tor nahe dem Fluß ließ mich unbehelligt, wenn auch nicht ohne manch verwunderten Blick, passieren, und ich schritt durch die Gassen zur Wasserstraße, die entlang des Gyolls verläuft.
    Nun muß ich etwas niederschreiben, das mich selbst nach all diesen Ereignissen noch beschämt. Die Wachen dieses Nachmittags waren die glücklichsten meines Lebens. All mein Haß gegen die Zunft hatte sich gelegt, so daß nur noch meine Liebe zu ihr, zu Meister Palaemon, meinen Brüdern und sogar den Lehrlingen, meine Liebe für ihre Überlieferung und Gebräuche, meine nie völlig erloschene Liebe übrigblieb. Ich verließ all das, was ich liebte, nachdem ich Schande darüber gebracht hatte. Ich hätte weinen sollen.
    Ich tat's nicht. Etwas in mir jauchzte, und als der Wind peitschend meinen Mantel hinter mir aufblähte wie Flügel, glaubte ich zu fliegen. Es ist uns verboten, in der Gegenwart von allen anderen als unseren Meistern, Brüdern, Klienten und Lehrlingen zu lächeln. Da ich meine Maske nicht tragen wollte, mußte ich mir also die Kapuze überziehen und das Haupt senken, damit kein Passant mein Gesicht sehen konnte. Fälschlicherweise meinte ich, unterwegs umzukommen. Fälschlicherweise meinte ich, nie mehr in die Zitadelle und unseren Turm zurückzukehren; fälschlicherweise glaubte ich jedoch auch, daß mir noch viele solcher Tage bevorstünden, und ich lächelte.
    In meiner Unbedarftheit war ich davon ausgegangen, daß ich vor Eintritt der Dunkelheit die Stadt hinter mir gelassen hätte und relativ sicher unter einem Baum hätte schlafen können. In Wirklichkeit hatte ich erst die älteren und ärmeren Viertel hinter mich gebracht, als der Westen, die Sonne verdeckend, sich hob. In einem der baufälligen Gebäude, welche die Wasserstraße säumten, um Gastfreundschaft zu ersuchen oder in irgendeinem Winkel nächtigen zu wollen, das hätte meinen Tod bedeutet. Also stapfte ich weiter unter den sturmhellen Sternen, nicht länger ein Folterer in den Augen der wenigen, die mir begegneten, sondern ein düster gekleideter Wandersmann.
    Hin und wieder glitten Schiffe über das krautdurchwobene Wasser, während der Wind im Takelwerk zirpte. Die einfacheren waren unbeleuchtet und wirkten eher wie treibende Trümmer; aber zuweilen gewahrte ich prächtige Gefährte mit Bug- und Hecklampen, so daß die Vergoldung ordentlich funkelte. Diese hielten sich mehr in der Mitte des Flusses, um sich vor Überfällen zu schützen, dennoch hörte ich den Gesang ihrer Ruderer übers Wasser tönen:
    Rudert, Brüder, rudert!
    Der Strom ist gegen uns.
    Rudert, Brüder, rudert!
    Doch Gott ist mit uns.
    Rudert, Brüder, rudert!
    Der Wind steht gegen uns.
    Rudert, Brüder, rudert!
    Doch Gott ist mit uns.
    Und so weiter. Selbst als die Lampen nur noch Fünkchen eine Meile oder mehr flußaufwärts waren, trug der Wind noch ihr Lied heran. Wie ich später beobachten konnte, ziehen sie beim

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