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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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irgend etwas darüber, wie es in den Provinzstädten um unserer Mysterium bestellt ist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Leider schlecht. Nirgendwo außer in Nessus – nirgendwo außer hier in der Zitadelle – gibt es einen örtlichen Zweig der Gilde. Kleinere Gemeinden haben nur einen Henker, der Hinrichtungen und vom dortigen Gericht erlassene Folterungen ausführt. So ein Mann wird allgemein gehaßt und gefürchtet. Verstehst du?«
    »So eine Stellung«, antwortete ich, »ist zu hoch für mich.« Was ich sagte, war keine Lüge; ich verabscheute mich damals viel stärker als die Zunft. Seither habe ich mich oft an diesen Ausspruch erinnert, der mir, zwar aus meinem Munde kommend, in Schwierigkeiten gar manches Mal ein Trost gewesen ist.
    »Es gibt eine Stadt namens Thrax, die Stadt der Fensterlosen Zimmer«, fuhr Meister Palaemon fort. »Der dortige Archon – er heißt Abdiesus – hat dem Haus Absolut geschrieben. Ein Marschall von dort hat den Brief dem Kastellan übermittelt, von welchem ich ihn habe. In Thrax muß die eben benannte Stelle dringend besetzt werden. Man hat dort in der Vergangenheit verurteilte Männer unter der Bedingung begnadigt, daß sie dieses Amt annähmen. Von Verräterei heimgesucht, greift man dort noch ungern auf dieses Verfahren zurück, denn das Amt erfordert eine gewisse Vertrauenswürdigkeit.«
    »Ich verstehe«, sagte ich.
    »Schon zweimal sind Mitglieder der Zunft in entlegene Städte ausgesandt worden, ob es sich dabei um solche Fälle gehandelt hat, geht aus der Chronik allerdings nicht hervor. Nichtsdestoweniger sind sie als Präzedenzfall zu betrachten und bieten einen Ausweg aus diesem Irrgarten. Du gehst nach Thrax, Severian. Ich habe einen Brief vorbereitet, der dich beim Archon und seinen Magistraten einführt. Er beschreibt dich als hochbefähigt in unserem Mysterium. Für solch einen Ort wird das keine Lüge sein.«
    Ich nickte, denn ich hatte mich bereits damit abgefunden. Dennoch loderte in mir, als ich dort mit dem ausdrucksleeren Gesicht eines Gesellen saß, dessen einziger Wunsch zu gehorchen ist, abermals Scham auf. Obschon nicht so glühend wie jene über die Schande, welche ich über die Zunft gebracht hatte, war sie doch frischer und um so schmerzlicher, als ich mich noch nicht an diese neue üble Empfindung gewöhnt hatte. Dessen schämte ich mich: daß ich froh war zu gehen – daß sich meine Füße schon danach sehnten, Gras unter sich zu spüren, meine Augen, fremde Dinge zu sehen, meine Lungen, die neue, reine Luft ferner, menschenleerer Gegenden zu atmen.
    Ich fragte Meister Palaemon, wo die Stadt Thrax liege.
    »Flußabwärts am Gyoll«, erklärte er. »Nahe am Meer.« Dann hielt er inne, wie die Alten das oft tun, und berichtigte sich: »Nein, nein, was fällt mir ein? Flußaufwärts natürlich«, und für mich brach die Vorstellung von aberhundert Meilen rollender Wellen und Sandstrände und von den Rufen der Seevögel zusammen. Meister Palaemon holte aus seinem Kabinettschrank eine Landkarte, entrollte sie für mich und beugte sich darüber, bis das Augenglas, womit er solche Dinge betrachtete, beinahe das Pergament berührte. »Hier«, sagte er und zeigte auf einen Punkt am Rande des jungen Flusses bei den unteren Wasserfällen. »Wenn du Geld hättest, könntest du mit dem Schiff reisen. Wie es ist, mußt du zu Fuß gehen.«
    »Ich verstehe«, sagte ich. Obschon mir das dünne Goldstück einfiel, das mir Vodalus gegeben hatte und das sicher in seinem Versteck verborgen lag, wußte ich, daß ich nicht nutznießen könnte, was für einen Wert auch immer es hätte. Es war der Wille der Zunft, mich mit so wenig Geld, wie man es in den Taschen eines Gesellen erwartete, hinauszuwerfen, und schon aus Gründen der Vorsicht und Ehre müßte ich so losziehen.
    Dennoch war das sicher ungerecht. Hätte ich nicht die Frau mit dem herzförmigen Gesicht erblickt und mir die Goldmünze verdient, hätte ich höchstwahrscheinlich nie ein Messer zu Thecla gebracht und meinen Platz in der Gilde verwirkt. Die Münze hatte mir gewissermaßen mein Leben gekostet.
    Nun gut – ich würde mein altes Leben zurücklassen ...
    »Severian!« rief Meister Palaemon. »Du hörst mir nicht zu. In unserem Unterricht bist du nie ein unaufmerksamer Schüler gewesen.«
    »Verzeihung. Mir gehen so viele Dinge durch den Kopf.«
    »Zweifellos.« Zum ersten Mal lächelte er richtig und war für einen Augenblick wieder sein altes Selbst, der Meister Palaemon meiner Kindheit. »Doch ich

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