Der Schatten des Folterers
Sonnenscheins, in dem sich aufgewirbelter Staub tummelte, stand starr wie eine Klinge zwischen uns.
»Dein Gewand, Optimat.« Ich raffte den Mantel hoch und streckte ihm die Linke entgegen, woraufhin er das Tuch ganz ähnlich wie die junge Dame draußen betastete. »Ja, sehr fein. Weich. Wie Wolle, aber noch weicher. Viel weicher. Eine Mischung aus Leinen und Vigogne? Und die wunderschöne Farbe. Die Tracht eines Folterers. Es ist fraglich, ob eine echte halb so schön wäre, aber was ließe sich gegen dieses Kleid einwenden?« Er duckte sich unter den Ladentisch und kam mit einer Handvoll Lumpen wieder hoch. »Dürfte ich mir das Schwert anschauen? Ich verspreche, höchst vorsichtig zu sein.«
Ich zog Terminus Est und legte es auf die Lumpen. Er beugte sich darüber, ohne es anzufassen oder etwas zu äußern. Als sich meine Augen endlich an das Dämmerlicht des Ladens gewöhnt hatten, entdeckte ich ein schmales Band in seinem Haar einen Fingerbreit über den Ohren. »Du trägst eine Maske«, sagte ich.
»Drei Chrysos. Für das Schwert. Und noch einen für den Mantel.«
»Ich will nicht verkaufen«, versetzte ich. »Nimm sie ab!«
»Wenn du wünschst. Also gut, vier Chrysos für das Schwert.« Er hob die Hände, in welche die Totenmaske fiel. Sein echtes Gesicht, hohlwangig und sonnengebräunt, glich auffallend dem der jungen Dame, die mir draußen begegnet war.
»Ich will einen Mantel kaufen.«
»Fünf Chrysos dafür. Das ist sicher mein letztes Angebot. Du mußt mir einen Tag Zeit lassen zum Auftreiben der Summe.«
»Ich sagte schon, das Schwert sei unverkäuflich.« Ich nahm Terminus Est und senkte es wieder in die Scheide.
»Sechs.« Über den Ladentisch greifend, packte er mich am Arm.
»Das ist mehr, als es wert ist. Höre, das ist deine letzte Chance! Im Ernst. Sechs.«
»Einen Mantel will ich kaufen, dazu bin ich hier. Deine Schwester, wie ich vermute, sagte, du hättest einen zu einem vernünftigen Preis.«
Er seufzte. »Also gut, ich verkauf dir 'nen Mantel. Verrätst du mir vorher, woher du dieses Schwert hast?«
»Ich habe es von einem Meister unserer Zunft erhalten.« Ein Ausdruck, den ich nicht ganz zu deuten wußte, huschte über sein Gesicht, so daß ich fragte: »Du glaubst mir nicht?«
»Ich glaube dir, das ist ja das Schlimme. Was bist du denn?«
»Ein Geselle der Folterer. Wir kommen nicht oft auf diese Seite des Flusses oder so weit nördlich. Erstaunt dich das wirklich so sehr?«
Er nickte. »Es ist wie die Begegnung mit dem Psychopompos. Darf ich fragen, wozu du dich in diesem Viertel aufhältst?«
»Du darfst, aber es ist die letzte Frage, die ich beantworte. Ich bin auf meinem Weg nach Thrax, wo ein Amt auf mich wartet.«
»Danke«, kam es von ihm. »Ich will nicht weiter neugierig sein. Ich weiß schon Bescheid. Da du deine Freunde überraschen willst, wenn du den Mantel ausziehst – hab' ich recht? –, sollte er von einer Farbe sein, die von deiner Tracht absticht. Weiß wäre gut, aber das ist selbst eine recht dramatische Farbe, die sich auch sehr schwer rein halten läßt. Wie wär's mit einem matten Braun?«
»Die Bänder, die deine Maske gehalten haben«, sagte ich, »sind noch dran.«
Er zog hinter dem Ladentisch Schachteln herunter, ohne zu antworten. Nach einer kurzen Weile wurden wir vom Klingeln der Glocke über der Tür unterbrochen. Der neue Kunde war ein Jüngling, dessen Gesicht ein eingelegter, geschlossener Helm mit einem Visier aus abwärtsgerichteten, verschlungenen Hörnern verbarg. Er trug eine Rüstung aus gefirnißtem Leder; eine goldene Chimära mit den leeren Glotzaugen einer Irren prunkte auf seinem Brustharnisch.
»Ja, Hipparch.« Der Ladeninhaber stellte die Schachteln hin und verneigte sich untertänig. »Was kann ich für Euch tun?«
Eine Hand im Panzerhandschuh mit zusammengekniffenen Fingern streckte sich mir entgegen, als wollte sie mir eine Münze reichen.
»Nimm's!« flüsterte mir der Ladenbesitzer ängstlich zu. »Was immer es auch ist.«
Ich hielt die Hand hin und erhielt ein leuchtend schwarzes Samenkorn von der Größe einer Rosine. Dem Ladeninhaber stockte der Atem; die geharnischte Gestalt wandte sich um und ging hinaus.
Nachdem sie verschwunden war, legte ich das Samenkorn auf den Ladentisch. Der Inhaber kreischte: »Versuch nicht, es mir zu geben!«, und wich zurück.
»Was ist das?«
»Du weißt es nicht? Der Stein der Averne. Womit hast du einen Offizier der Leibgarde beleidigt?«
»Hab' ich gar nicht. Warum hat er
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