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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Appetit.«
    Fürwahr, dachte ich, wenn er sich in diesem Haus, worin jedes Zimmer nur über Treppen zu erreichen war, eine solche Leibesfülle erhalten konnte, bewahrte die Überlegung aber für mich.
    »Seht Ihr, Sieur, das Gesetz verbietet alle Bauten so nahe der Mauer. Wir werden geduldet, haben wir doch weder Mauern noch ein Dach. Die Besucher kommen zu uns, die berühmten Kämpfer und Helden, die Zuschauer und Medicusse, sogar die Ephoren. Hier hätten wir nun Eure Stube.«
    Es war eine runde, völlig ebene Plattform. Ringsum und darüber schirmte hellgrünes Laubwerk Blicke und Geräusche von außen ab. Agia setzte sich auf einen Segeltuchstuhl, und ich ließ mich (sehr erschöpft, gestehe ich) neben Dorcas auf einem Sofa aus Leder und den gedrehten Hörnern von Wasserböcken und Moorantilopen nieder. Nachdem ich die Averne hinter dieses gelegt hatte, zog ich mein Terminus Est und machte mich daran, die Klinge zu putzen. Eine Magd brachte Wasser und einen Schwamm für Dorcas, und als sie sah, was ich tat, Lumpen und Öl für mich. Ich schraubte das Heft ab, um die Klinge zur gründlichen Reinigung freizulegen.
    »Kannst du dich nicht waschen?« fragte Agia Dorcas.
    »Ich möchte schon, aber nicht, wenn ihr zuseht.«
    »Severian wird wegschauen, wenn du ihn bittest. Das hat er heute morgen schon einmal sehr brav gemacht.«
    »Mir wär' lieber, wenn Madame auch nicht zusähen«, sagte sie sachte zu Agia. »Ich hätt' gern einen eigenen Raum zum Baden, wenn's ginge.« Agia lächelte darüber, aber ich rief noch einmal nach der Magd und drückte ihr ein Orikalkum in die Hand, damit sie einen Wandschirm brächte. Als er aufgestellt war, bot ich Dorcas an, ihr ein Gewand zu kaufen, falls im Gasthaus eins zu bekommen wäre.
    »Nein«, lehnte sie ab. Im Flüsterton erkundigte ich mich bei Agia, was wohl mit dem Mädchen sei.
    »Sie mag, was sie anhat, ganz klar. Ich muß mir dauernd das Mieder zuhalten oder müßte mich zu Tode schämen.« Sie ließ die Hand fallen, so daß ihre rosigen Brüste sich entblößten und in der untergehenden Sonne glänzten. »Sie aber kann in diesen Lumpen genügend Bein und Busen zeigen. Auch hat ihr Kleid im Schoß einen Riß, was dir wohl noch gar nicht aufgefallen ist.«
    Wir wurden unterbrochen vom Wirt, der einen Kellner mit einem Teller Gebäck, einer Flasche und Gläsern hereinführte. Ich erklärte, daß meine Kleider naß seien, worauf er eine Kohlenpfanne bringen ließ, an der er sich – mir nichts, dir nichts – selbst wärmte, als stünde er in seinem Wohnzimmer. »Recht angenehm um diese Jahreszeit«, meinte er. »Die Sonne ist tot, sie weiß es nur noch nicht, auch wenn wir's wissen. Wenn Ihr umkommt, verpaßt Ihr den nächsten Winter, wenn Ihr verletzt werdet, müßt Ihr sowieso drinnen bleiben. Das sage ich zu allen. Natürlich wird meistens im Hochsommer gekämpft, so daß es dann sozusagen angebrachter ist. Ob's ihnen ein Trost ist, weiß ich nicht, jedenfalls schadet's nicht.«
    Ich legte meinen braunen Umhang und den Gildenmantel ab, stellte die Stiefel auf einen Stuhl vor der Kohlenpfanne und trat neben den Hausherrn, um meine Kniehosen und Strümpfe zu trocknen, wobei ich fragte, ob alle zum Blutacker Ziehenden hier einkehrten, um sich bei ihm zu stärken. Wie jeder, der sich dem Tode nahe wähnt, wäre ich ob der Gewißheit, einen Weg zu gehen, der Teil einer festen Tradition sei, froh gewesen.
    »Alle? O nein«, versetzte er. »Die Mäßigung und St. Amand seien mit Euch, Sieur! Würde jeder in meinem Gasthaus verweilen – nun, dann wär's nicht mehr mein Gasthaus. Ich hätt's verkauft und lebte bequem in einem großen Steinhaus mit Atrozitäten vor der Türe und ein paar messerbewehrten Burschen in meiner Mitte, die mir meine Feinde erledigten. Nein, gar mancher zieht ohne einen Blick vorüber und überlegt nicht, daß es beim nächsten Mal schon zu spät sein könnte, meinen Wein zu trinken.«
    »Apropos Wein«, sagte Agia und reichte mir ein Glas. Es war bis zum Rand gefüllt mit einem dunklen, scharlachroten Jahrgang. Nicht gerade Wein vom Besten – er prickelte auf der Zunge und schmeckte köstlich, wenn auch ein wenig sauer. Aber ein herrlicher Wein, ein Tropfen, der mehr als gut war im Munde eines ermatteten, frierenden Wanderers wie mir. Agia hatte ein eigenes volles Glas, aber ich sah an ihren geröteten Wangen und funkelnden Augen, daß sie schon wenigstens eins geleert hatte. Ich bat sie, für Dorcas etwas übrig zu lassen, worauf sie entgegnete:

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