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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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»Für diese saft- und kraftlose Pomeranze? Sie wird keinen Wein trinken, und den Mut brauchst du, nicht sie.«
    Nicht ganz ehrlich versicherte ich, daß ich mich nicht fürchte.
    Der Wirt verkündete: »So ist's recht! Nur keine Angst haben und sich nicht den Kopf mit edlen Gedanken über den Tod und die letzten Dinge und all das schwer machen. Die das tun, sind diejenigen, die nicht zurückkommen, des könnt Ihr sicher sein. Ihr wolltet, glaube ich, noch ein Mahl für Euch und Eure zwei jungen Damen für nachher bestellen?«
    »Wir haben bestellt«, antwortete ich.
    »Bestellt schon, aber noch nichts angezahlt, das hab' ich gemeint. Dann ist da noch der Wein und der Kuchen. Diese sind hier und jetzt zu bezahlen, da sie hier und jetzt verzehrt und getrunken werden. Für das Mahl danach verlange ich eine Hinterlegung von drei Orikalken. Zwei weitere sind zu leisten, wenn Ihr zum Essen kommt.«
    »Und wenn ich nicht komme?«
    »Dann fallen auch keine weiteren Kosten an, Sieur. Deswegen kann ich meine Gerichte zu so niedrigen Preisen anbieten.«
    Die völlige Gefühllosigkeit des Mannes entwaffnete mich; ich gab ihm das Geld, woraufhin er sich zurückzog. Agia spähte hinter den Wandschirm, wo Dorcas sich von der Magd beim Waschen helfen ließ, und ich ließ mich wieder auf dem Sofa nieder und nahm mir zum restlichen Wein in meinem Glas ein Stück Kuchen.
    »Wenn wir die Angeln darin blockieren könnten, Severian«, flüsterte sie, »könnten wir uns ein paar Augenblicke ohne Störung miteinander vergnügen. Wir könnten einen Stuhl dagegenstellen, aber bestimmt würden die beiden im unmöglichsten Moment hereinstürmen und alles über den Haufen rennen.«
    Ich setzte gerade zu einer neckischen Antwort an, als mir ein klein zusammengefalteter Zettel auffiel, der so unter das Tablett des Kellners gelegt worden war, daß man ihn nur von dort aus, wo ich saß, sehen konnte. »Das ist wirklich zuviel«, entfuhr es mir. »Zuerst die Herausforderung, nun die mysteriöse Nachricht.«
    Agia kam, um zu schauen. »Wovon redest du? Bist du schon betrunken?«
    Ich legte die Hand um ihre runde, füllige Hüfte, und da sie mich gewähren ließ, benutzte ich diesen angenehmen Griff, um sie an mich zu ziehen, bis sie ihn sehen konnte. »Was, meinst du, steht drauf? ›Die Republik braucht dich – reite sofort los ... Dein Freund ist, wer zu dir Kamarillo sagt ... Hüte dich vor dem Rotschopf .. .‹«
    An meine Scherze anknüpfend, meinte Agia: »›Komm, wenn drei Kieselsteine gegen das Fenster fliegen .. .‹ Gegen die Blätter, sollte man hier sagen. ›Die Rose, die nektarspendende, hat in die Iris gestochen ...‹ Das ist sicher deine Averne, die mich tötet. ›Du erkennst deine wahre Liebe an ihrem rothaarigen Buhlen .. .‹« Sie beugte sich herab, küßte mich und setzte sich auf meinen Schoß. »Willst du nicht nachsehen?«
    »Und ob!« Ihr zerrissenes Mieder war wieder auseinandergefallen.
    »Nicht da. Deck's mit der Hand zu und sieh dann nach, was drauf steht.«
    Ich tat, worum sie gebeten hatte, beließ aber den Zettel an seinem Platz. »Wie gesagt, das ist wirklich zuviel. Der geheimnisvolle Septentrion und seine Herausforderung, dann Hildegrin und nun dies. Die Chatelaine Thecla habe ich schon erwähnt?«
    »Mehr als einmal bei unserm Gang durch die Stadt.«
    »Ich liebte sie. Sie las viel – was hätte sie auch anderes tun sollen als zu lesen, zu nähen und zu schlafen, wenn ich gegangen war – und wenn ich bei ihr war, lachten wir oft über so manche Erzählung. Den Figuren darin passierten ständig solche Sachen; andauernd wurden sie in schwere, melodramatische Ereignisse verwickelt, die viel zu hoch für sie waren.«
    Agia lachte mit mir und küßte mich abermals sehnsüchtig. Als sich ihre Lippen von meinem Mund lösten, sagte sie: »Was ist mit diesem Hildegrin? Mir fiel nichts Außergewöhnliches an ihm auf.«
    Ich nahm ein zweites Stück Kuchen, tippte damit auf den Zettel und schob ihr einen Bissen davon in den Mund. »Vor einiger Zeit habe ich einem Mann namens Vodalus das Leben gerettet...«
    Agia sprang Krümel spuckend auf. »Vodalus? Du machst Witze!«
    »Keineswegs. So wurde er von seinem Freund genannt. Ich war fast noch ein Knabe, aber ich hielt für einen Augenblick den Stiel einer Streitaxt zurück. Der Schlag hätte ihn getötet. Dafür gab er mir einen Chrysos.«
    »Warte! Was hat das mit Hildegrin zu tun?«
    »Als ich Vodalus zum ersten Mal sah, hatte er bei sich einen Mann und eine Frau. Sie

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