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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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wischte der Professor über die Scheibe des Schaukastens, als wollte er das schwarze, zerknitterte Gesicht von Set i I. streicheln. »In unseren Vorfahren muss so der Gedanke gereift sein, dass niemand ganz aus dem Leben verschwindet. Allerdings zogen sie daraus die falschen Schlüsse: Sie begannen ihre Toten in Steinbauten beizusetzen. Verwundert mussten sie dem Verfall der Körper zusehen, bis nur noch Staub übrig war.«
    Rascal räusperte sich. »Und so kamen sie auf die Idee, das Werk des Sands künstlich nachzuahmen?«
    Der Mann nickte. »Sehr richtig, mein Fräulein, kurz vor Beginn der Pharaonenzeit muss das gewesen sein. Wie so eine Mumifizierung vonstattenging, wissen wir durch den griechischen Dichter Herodot, der den Vorgang bis ins kleinste Detail anschaulich beschrieben hat. Das Wort leitet sich übrigens vom persischen mum ab, was Bienenwachs bedeutet, mit dem die Toten anfangs bestrichen wurden.« Er hüstelte. »Aber ich schweife ab. Das Problem waren die Körpersäfte, das hatten unsere Vorfahren schnell erkannt. Also entfernte man die inneren Organe Leber, Lunge, Magen und Eingeweide und legte sie in Tonkrüge, sogenannte Kanopen. Das Gehirn hielt man übrigens für unwichtig, dementsprechend roh ging man mit ihm um. Die Einbalsamierer stießen einen Metallstab durch die Nase bis in den Schädel des Toten und drehten ihn wie einen Quirl, bis das Gehirn aus den Nasenlöchern floss.« Wie aus dem Nichts hatte Professor Saladim einen Kugelschreiber hervorgezaubert und bohrte damit vor dem zerknitterten Gesicht von Thutmosis in der Luft herum. Mitten in der Bewegung brach er ab, anscheinend um sich zu vergewissern, dass keinem seiner drei Zuhörer übel geworden war.
    Sid liefen bei der unappetitlichen Schilderung und dem grotesken Tanz des Professors kalte Schauer über den Rücken, aber er zwang sich, weiter zuzuhören. Rascal griff nach seiner Hand und drückte sie fest, wie um ihm Mut zu machen. Was hatte sie vor?
    »Sie haben die Organe erwähnt, die… die aus dem Leichnam geholt wurden«, fasste Rascal zusammen. »Aber… das Herz war nicht dabei?«
    Sid zuckte zusammen. Es wurde ernst.
    »Nein!«, sprudelte es aus ihrem Führer heraus. »Die alten Ägypter nahmen an, dass die Menschen mit dem Herz dachten. Deshalb musste es im Körper bleiben. Nur so war sicher, dass sich der Verstorbene an die magischen Sprüche erinnern konnte, die er im Jenseits rezitieren musste, um wiederaufzuerstehen.«
    Das Zellgedächtnis!, durchzuckte es Sid. Er taumelte rückwärts und schlug mit den Hüften gegen die Vitrine in der Raummitte. Ramse s II. bewegte sich nicht. War es möglich, dass Ramses und seine Vorfahren schon gewusst hatten, was ein Professor der Universität Arizona erst vor ein paar Jahren herausgefunden haben wollte?
    »Tut mir leid, ich vergesse immer wieder, dass die Kunst der Mumifizierung auf Laien bedrohlich wirkt«, entschuldigte sich Saladim.
    »Wie gut, dass unsere Alarmanlagen ebenfalls aus der Pharaonenzeit stammen«, warf Yusuf ein.
    Sid lachte nicht mit. »Wenn man das Herz also aus einem Toten entfernt hätte, hätte man dafür gesorgt, dass er nicht auferstehen kann?«, erkundigte er sich und warf Rascal einen bedeutungsschweren Blick zu.
    Saladim nickte. »Ja, das lässt sich daraus schließen. Aber ich wüsste von keiner Mumie, die ohne Herz aufgefunden worden wäre– und ich habe schon eine ganze Menge gesehen!«
    Rascal zog die Augenbrauen hoch. Hier gab es also keine Spur, die auf Setepenseths Körper hindeutete. Sid wusste nicht, ob er deshalb erfreut oder enttäuscht sein sollte. Das Gemurmel vor dem Saal hinderte ihn daran, diese Frage abschließend zu klären. Eine Horde Touristen kaufte ihr Extraticket für den Mumiensaal, einige von ihnen beschwerten sich lautstark über die gesalzenen Preise.
    »Wie gerne würde ich Ihnen noch erzählen, wie die Löcher in den Körpern wieder ausgestopft wurden«, beeilte sich ihr Führer zu sagen. »Aber hier drin ist lautes Sprechen eigentlich verboten, wegen der Atmosphäre, wissen Sie.«
    An der Tür drehte sich Professor Saladim noch einmal zu den elf Mumien um und verbeugte sich wie vor geschätzten Verwandten. Dann drängelte sich die Reisegruppe an ihm vorbei. Der Zauber der künstlichen Grabkammer war verflogen. Zu viert verließen sie den Raum. Auf der Treppe wollte sich ihr Führer verabschieden, aber Rascal hielt ihn zurück.
    »Was wissen Sie über Cheops?«
    Professor Saladim lachte. »Wie viele Wochen haben Sie Zeit? Ich

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