Der Schatten des Horus
Männer und Setepenhorus antwortete ihnen und es schallte bis in meine Höhle. »Lasst uns Häuser aus Steinen bauen, viel größer und mächtiger als Mastabas. Wenn pharao kalt ist, so wollen wir ihn mit dem mum der Bienen bestreichen und seinen Mund öffnen, wie es seit alters Brauch ist. Wenn siebzig Tage vergangen sind, so tragen wir ihn in sein Haus und verschließen es mit dem härtesten Stein!«
So sprach er und es war die Zeit, in der Djoser pharao war. Und sie fingen an, ein Haus zu bauen, erst aus Ziegeln, dann aus Stein. Von seinem Dach konnte man die ganze Welt sehen und sie nannten es mer , die Pyramide. Als Djoser sich zu den Kalten legte, taten sie alles so, wie Setepenhorus es ihnen gesagt hatte. Ich aber drang in das Haus mit Leichtigkeit und raubte Djoser. Auch seine Nachfolger fraß ich.
Als die Menschen das erfuhren, zürnten sie und verspotteten Horus. »Du bist nicht mächtig!«, riefen sie Setepenhorus zu. Er aber sprach: »Wir werden mer bauen, die selbst Setepenseth nicht erstürmen kann! Horus wird uns helfen.«
Es war die Zeit, in der Chufu pharao war. Und sie bauten Jahr um Jahr um Jahr. Als Chufu alt war und Anubis ihn zu sich in die Unterwelt rufen wollte, war mer fertig. Sie war ganz aus Stein und alle Völker der Welt hatten geholfen, sie zu bauen. Von ihrem Dach aus konnte man die Sterne mit den Händen berühren, so hoch war sie. Und sie nannten sie Horizont des Chufu. Chufu triumphierte und ließ überall verkünden, ich könne seine mumia nicht rauben. Seine Sicherheit war groß und er holte mich aus meiner Höhle, um mer , die Pyramide, von innen zu betrachten. Ich folgte seinem Ruf, aber es war eine Falle. Setepenhorus half ihm, mich zu überlisten. Doch bevor ihr Werk an mir vollbracht war, stieß ich einen letzten Fluch aus.
»Solange es ein Abbild von dir, Chufu, auf Erden gibt, solange ist gewiss, dass ich wiederkehren werde, um dich zu besiegen!«, rief ich. »Und Seth wird mir helfen!« Dann folgte eine lange Nacht und ich erinnere mich an nichts.
Chufu aber ordnete noch in mer an, man solle alle Figuren und Abbildungen von ihm zerstören.
Eine einzige vergaß er. Der Fluch erfüllte sich.
Trink im Hause eines Kaufmanns nicht einmal Wasser, er wird es dir in Rechnung stellen.
26. Kapitel
Kairo, Mokattam-Berge, Dienstag, 16 . Oktober, 1 3 Uhr
Birger Jacobsen ging zu Fuß. Von der Sharia Salah Salem, gleich hinter der Zitadelle, die mehr als siebenhundert Jahre lang der Sitz der ägyptischen Herrscher gewesen war, zweigte in nördlicher Richtung eine Straße ab. Er war sie schon einmal gegangen, vor langer Zeit, und hatte sich ihren Verlauf genauestens eingeprägt. Je weiter er die Serpentinen auf die zweihundert Meter hohen Mokattam-Berge hinaufstieg, desto seltener wurde er von Straßenhändlern angequatscht. Wer hier lebte, hatte nichts zu verkaufen. Über seinem Kopf wölbte sich der Smog wie eine Glocke und machte einen Ausblick auf die Stadt unmöglich. Unter seinen Füßen wirkte der Berg wie abgebissen. In diesen Steinbrüchen waren einst die Verkleidungsplatten der Pyramiden gebrochen worden. Der Wind drehte und blies ihm erbarmungslos den Gestank des Viertels in die Nase, das er nun erreicht hatte. Doch noch war die Luft duftig wie in einem Blumenladen, verglichen mit dem, was ihn um die erste Häuserecke erwartete. Er saugte seine Lunge so voll, dass sie schmerzte. Dann biss er die Zähne zusammen und ging weiter.
Die Müllstadt. Das Viertel der Zabbalin, der Müllsammler. Der am seltensten besuchte Teil der Stadt. Eine Halde, die nie kleiner wurde, so sehr die fleißigen Frauen- und Mädchenhände auch darin herumwühlten. In Lumpen und Essensresten, in Plastik und Holz, in Kabeln und Blech. Und Krankenhausabfällen, die die Finger ritzten und Gelbsucht und AIDS verbreiteten, oder wenigstens die Gesichter aufblähten und den Körper mit Geschwüren übersäten. Eine Garnison von Eselskarren brachte Nachschub aus jeder Ecke, jedem Rinnstein Kairos, Al-Qahiras, der Siegreichen. Schweinemist schwappte um die Häuser. Wie die Masten von Wracks ragten die Hütten aus diesem stinkenden Meer heraus, zerborsten an den Überbleibseln der Zivilisation, die sich mit diesen Unmengen von Dreck, den sie produzierte, selbst ad absurdum führte.
Birger Jacobsens Augenlid begann bei ihrem Anblick zu zucken. Er widerstand dem Impuls, sich ein Taschentuch vor die Nase zu halten. Halbwüchsige Jungen mit dreckstarren Gesichtern lenkten die Karren, die kleineren Schwestern
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