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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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lehnten erschöpft an ihren Schultern oder lagen auf dem Müll, die Gesichter schwarz von Fliegen. Um drei Uhr jede Nacht verließen sie ihre Siedlung, jetzt kehrten viele von ihnen zum zweiten oder dritten Mal heim und kippten ihre Ernte vor das Erdgeschoss ihrer Betonhäuser oder Wellblechhütten. Das Sortieren begann. Birger Jacobsen kannte ihre Geschichte. Die Zabbalin waren Kopten, Ende der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus ganz Ägypten in die verheißungsvolle Hauptstadt geflohen, die auch damals schon mehr Hände als Arbeit zu bieten hatte. Gegen ein paar Piaster fuhren sie den Müll der Geschäfte und Restaurants ab, was sie verwerten konnten, gehörte ihnen. So ernährte das Handwerk den Mann und sein Vieh.

Die Häuser verschwammen vor seinen Augen, die Fassaden seiner Kindheit tauchten auf. Birger stand im Hinterhof zwischen Müllbergen und spülte Gläser in einer Zinkwanne, wühlte mit den Händen in den verflossenen Träumen der gescheiterten Existenzen, der Ausgestoßenen. Kaum hatte er den Hahn auf Zehenspitzen erreichen können, zwang ihn sein Vater, hier die Nachmittage zu verbringen. Pripps bellte.
    Ostkant war zwar kein Slum wie die Müllstadt der Zabbalin, aber mit Abstand der schäbigste Teil Oslos. In Grünerløkka, dem miesen Arbeiterviertel östlich des Flusses Akerselva, versammelten sich die von Schnaps und Drogen ausgezehrten Figuren, die vom Ölboom mit keiner Krone profitierten. Hier betrieb sein Vater im Schuppen eine illegale Kneipe ohne Namen, die bei den Nachbarn aber schnell als promille huset , Promillehaus, bekannt geworden war. Promille-Knut und seine Frau Gitte öffneten den Laden jeden Tag pünktlich um zwölf, nicht ohne vorher mit einem Wasserglas voll Selbstgebranntem darauf anzustoßen, dass sie auch heute wieder aufgewacht waren. Zuschließen musste, tief in der Nacht, Birger, wenn seine Eltern besoffen über dem Tisch eingeschlafen waren.
    Ein neues Tablett kam.
    Pripps bellte.
    Wasser spritzte Birger ins Gesicht, wenn er die Gläser und Becher versenkte. Hier hatte er sich die Pocken geholt, sollte er viele Jahre später vermuten, die sich mit einem Kratzen im Hals ankündigten. Die Viren befielen zunächst Nase, Gaumen und Rachen, dann verteilte sein Blut den Feind im ganzen Körper. Erst als er vor Fieber und Schüttelfrost neben seinem Bottich zusammengebrochen war, das Gesicht bereits von Bläschen übersät, gestatteten ihm die Eltern, sich auf seine versiffte Matratze zurückzuziehen. Hier lag er, vierzehn Tage und Nächte, glühend vor Fieber und stinkend nach dem Eiter in den Pusteln, die Lider verkrustet. Dann waren die Pocken verschwunden, aber die Erinnerung blieb, als tiefe Krater trug er sie am ganzen Körper. Du hast Glück gehabt, höhnten die Narben, obwohl dich kein Arzt zu Gesicht bekam. Du bist nicht blind, nicht taub, nicht lahm geworden, und dein Gehirn arbeitet auch noch normal. Und jeder Dritte stirbt.
    Warum nicht ich?, fragte sich Birger. »Burger!«, riefen ihm die Klassenkameraden hinterher, die keine Kameraden waren, »Hackfleischgesicht!«. Er bildete mit den sauberen Gläsern ein Muster auf der rohen Bank. Warum musste ich überleben?
    Pripps jaulte. Sein Hund schrie um Hilfe!
    Birger kletterte auf die Bank und sah über die Mauer. Kalle und seine beiden Kumpane hatten Pripps gepackt und aus der Hütte gezerrt. Seinen Pripps, den er als Baby gefunden und alleine aufgezogen hatte, der ihm jeden Morgen, als er so krank war, die Augen freigeleckt hatte. Kalle, der Riese mit den von Karies zerfressenen Zähnen, tränkte einen Lappen mit Benzin, die beiden anderen banden Pripps eine Schnur an den Schwanz. Nur langsam konnte Birgers Gehirn fassen, was die drei vorhatten. Er wollte über die Mauer springen und sie mit den Köpfen zusammenschlagen, er, der kleine Burger.
    Plötzlich schwankte sein Vater aus dem Schuppen. Im Zickzack steuerte er die Tür des Plumpsklos an, überlegte es sich auf halbem Weg aber anders, öffnete die Hose und pinkelte aufs Pflaster. Seine Gäste johlten.
    Pripps jaulte und winselte jämmerlich.
    »Vater, sie quälen Pripps!«, ächzte Birger. »Du muss t …«
    Eine Ohrfeige traf Birgers Gesicht. »Hörssu nich, maine Freunne ham Duaaast!«
    Wider besseres Wissen gehorchte Birger nicht, es ging um Pripps. »Vater, ich laufe weg und komme nie wieder, wenn sie meinem Hund was antun!«
    Knut Jacobsen packte seinen Sohn, drehte ihn mit seinen aufgedunsenen blauen Händen zur Tür und trat ihm in den

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