Der Schatten des Horus
einer schmalen Eisentür blieb der Dackel stehen, öffnete eine kleine Klappe in Augenhöhe und bellte einen Befehl in die Zelle. Mürrische Stimmen drangen an Sids Ohr, Bettfedern quietschten, Leder schrappte über Beton. Offenbar war der Wachmann mit dem Anblick, der sich ihm bot, zufrieden, denn nach einer Weile nickte er dem Schließer zu. Angespannt wie eine Katze vor dem Sprung, nestelte der kleine Mann einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, der mit einem dicken Draht an seinem Gürtel gesichert war. Die Tür schwang auf. Sid meinte, den Gestank sogar sehen zu können. Schon für eine normale Nase wäre dieser Geruch sicherlich eine Qual gewesen, ihm aber raubte er fast den Verstand.
»Keine zehn Pferde kriegen mich da rein!«, brüllte er und riss an der Kette. Ein Stoß in die Nieren brachte ihn zum Schweigen. In Sids Gehirn blitzte es, seine Beine knickten weg, aber er fiel nicht um.
Zwei Wärter griffen ihm unter die Arme und zerrten ihn auf eine Pritsche in der Zelle. Die Handschellen rissen ihm die Haut an den Handgelenken auf. Er versuchte ganz flach zu atmen, aber der Schmerz ließ nicht nach.
Wer hat mir das eingebrockt?, dachte er verzweifelt. Sid blinzelte. Mehr als hell und dunkel konnte er nicht unterscheiden. Erst nach einer Weile sah er wieder richtig.
Der Raum war kaum größer als die Königskammer in der Großen Pyramide. An zwei Wänden quetschten sich vier doppelstöckige Betten. An der dritten Wand, der Tür gegenüber, war ein vergittertes Fenster, links und rechts davon standen breitbeinig vier Männer, die Handflächen an der Mauer. Alles Araber, wie die zwei, die mit ihm angekommen waren. Sid machte einen tiefen Luftzug und biss sich vor Schmerz auf die Lippen. Trotzdem richtete er sich auf. Seine Nieren schrien. Ihm ging durch den Kopf, was George W. Bush immer über die arabische Welt und die Schurkenstaaten sagte, wie er seinen Krieg rechtfertigte. Wenn du hier überleben willst, wurde ihm klar, darf niemand erfahren, dass du Ami bist! Sonst lassen sie die Wut auf deinen Präsidenten an dir aus!
Nach und nach verließen die Wachmänner die Zelle, blieben aber in der Tür stehen. Ihr Anführer stieß Sid in die Seite.
» You sleep here! «, schnarrte er und deutete mit dem Schlagstock auf die Matratze, auf der Sid saß. Mit versteinerter Miene, die wohl Überlegenheit ausdrücken sollte, drehte sich der Dackel auf dem Absatz um und marschierte zackig aus dem Raum. Hinter ihm knallte die Tür zu.
Augenblicklich kam Bewegung in die Männer. Murrend verließen sie ihre Plätze an der Wand und begutachteten die drei Neulinge. Wie schnüffelnde Hunde umkreisten sie sich gegenseitig. Die Boxernase und der Furzer fanden offensichtlich ihre Zustimmung, auch wenn die zwei es bevorzugten, sich still auf ihre Betten zurückzuziehen. Mit Sid stand die Sache anders. Genau wie er befürchtet hatte, nahmen ihn die anderen sofort ins Visier. Der größte der Männer baute sich vor Sid auf. Sein Gesicht war von einem glänzenden Schweißfilm überzogen, quer über seine Wange zog sich eine wulstige lila Narbe. Den Haaren nach zu urteilen, die ihm in alle Richtungen vom Kopf abstanden, saß er schon ein Weilchen länger.
Er zeigte auf seine Brust.
»Mahmud«, stellte er sich vor. Sid verstand die Geste sehr gut, er sollte wissen, wer in diesem Ring der Chef war. » You America? «
Keine Angst zeigen!, ermahnte sich Sid. Sie können das riechen, und dann bist du dran! Er biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. » Germany! «
Mahmuds Augen blitzten, begeistert schlug er die Hacken zusammen und machte den Hitlergruß. » My friend, why you here? «, fragte er lachend.
Angeekelt wollte sich Sid als Antwort nur mit der Hand eine unsichtbare Spritze in den Arm jagen. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass in den USA Drogendealer im Knast nicht hoch angesehen waren. Jeder dort hatte einen Verwandten oder Freund, der durch das Zeug umgekommen war. Sicher war es in Ägypten eher noch schlimmer. War nicht schon Alkohol nach dem Koran verboten?
» Killed a man! «, antwortete er stattdessen. Er dachte an Cheops, den er auf dem Granit zerschmettert hatte. In gewisser Weise stimmte es also sogar, er hatte getötet.
Für einen flüchtigen Moment zeigten Mahmuds schwarze Augen einen Funken von Verblüffung. So eine Tat hatte er dem schmächtigen Bürschchen wohl nicht zugetraut. Aber warum saß er sonst hier, bei den Schwerverbrechern? Und hatte er nicht, ohne auf die Bestrafung durch die
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