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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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den Gang, hastig, als sei jemand auf der Flucht. Ich spürte das Knallen der Absätze am ganzen Körper. Kurz bevor sie meinen Unterschlupf erreicht hatten, stoppten die Schritte plötzlich. Mein Herz schlug bis zum Hals, denn ich befürchtete, entdeckt worden zu sein. Du warst kein artiges Mädchen!, durchzuckte es mich. Mami wird böse sein! Aber der Mann fragte nur nach ihrem Namen. Sugar Washington, Mista , hörte ich ihre schüchterne Antwort. Der Mann verlangte Papier und Bleistift, ein paar Sekunden herrschte bis auf das Gelächter vom Dach her Stille, dann sagte er wörtlich: Wenn mir heute etwas zustoßen sollte, Sugar, gib diesen Zette l …
    Weiter kam er nicht. Vielleicht hatte sein Verfolger ihn entdeckt, ich weiß es nicht. Ich hörte ihn wegrennen und nur wenige Augenblicke später fiel ein Schuss. Stanford White, der große Architekt, war getötet worden. Ich bin mir sicher, dass er der Mann war, der meiner Mutter kurz vor seinem Tod diesen Zettel ausgehändigt hatte.
    Ich hatte während dieser Zeit kein Wort mit meiner Mutter gewechselt, mein Versprechen galt ja noch immer. Als sich aber von Neuem Schritte näherten, tauchte ihre Hand vor meinem Gesicht auf und wedelte mit einem sauber gefalteten Zettel. Kaum hatte ich ihn ihr aus der Hand genommen, sprach jemand Worte in einer Sprache, die ich nie zuvor gehört hatte und es roch ganz komisch. Mutter sagte Ja, Mista und ging ganz langsam davon. Ganz seltsam klang das, als wäre es gar nicht sie gewesen.«
    Rose Washington drehte sich zu ihrer Urenkelin und man sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, über ihre Erlebnisse zu sprechen. »Das war das Letzte, was ich von meiner Mutter gesehen habe, ihre schöne schlanke Hand! Eine Woche später hat man sie aus dem Hudson gefischt. Tod ohne Fremdeinwirkung, sagte die Polizei, die den Fall sofort zu den Akten legte. Für sie war meine Mum nur eine tote Niggerin.«

Alex Whitfield blieb stumm. Tausend Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Warum hatten ihre Eltern nie davon erzählt? Wussten sie nichts über Sugar Washington?
    »Bitte, sei so gut!«, unterbrach sie Rose in ihren Gedanken. »Öffne die Schublade in meinem Nachttisch und hole die silberne Kassette heraus.«
    Alex tat wie ihr geheißen und stellte das Gewünschte auf den Couchtisch. Mit zitternden Fingern fuhr ihre Urgroßmutter über das eingravierte Blumenmuster. Endlich schienen ihre Hände sich entschieden zu haben, den Deckel zu öffnen. In der Schatulle waren nur zwei Dinge: Das abgegriffene Foto eines hübschen jungen Mädchens in einem hochgeschlossenen Spitzenkleid und ein in der Mitte gefalteter Zettel.
    »Ich habe bis heute nicht gelesen, was M r White in der Nacht geschrieben hat«, beichtete Rose Washington. »Hundertmal, tausendmal habe ich es mir in den schönsten Farben ausgemalt, habe mir den Grund für Mutters Tod herbeifantasiert, ein großes, romantisches Geheimnis, sodass die Realität viel zu ernüchternd für mich wäre!«
    Alex nickte und steckte beides in ihre Handtasche. Sie las den Zettel am folgenden Tag, nachdem sie einen Anruf vom Pflegeheim erhalten hatte. Rose Washington, einhundertundvier Jahre alt, war direkt nach ihrem Besuch aus dem Heim verschwunden.
    Tage später barg man ihre Leiche aus dem Hudson River.

36. Kapitel
    Kairo, Tora Prison Complex, 19./20 . Oktober, Nacht
    Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
    Sid wälzte sich mit schwarzen Gedanken auf seiner Pritsche herum, der bestialische Gestank des Klolochs hatte über Tag weiter zugenommen. Sieben Männer erleichterten sich hier regelmäßig und außer ein paar Millilitern Wasser gab es keine Spülung. Das Neonlicht brannte von der Decke und durchleuchtete selbst das dünne Kissen, das sich Sid aufs Gesicht gelegt hatte. Eine Sicherheitsmaßnahme sei das, so viel hatte er verstanden, damit sich niemand im Dunkeln etwas antun konnte. Sid akzeptierte es zähneknirschend, denn so konnte man auch einem unliebsamen Zellenkumpan nicht unbemerkt an die Gurgel gehen.
    Sid warf das Kissen von sich und sah zu Mahmud hinauf. Hier im Knast gab es eine klare Hierarchie. Mahmud war der Chef in der Zelle. Die anderen hatten ihm beim Abendessen kommentarlos die besten Stücke ausgehändigt, er hatte das beste Bett, direkt neben dem Fenster, durch dessen Gitterstäbe ein kühles Lüftchen hereinwehte und den Gestank nach unten drückte.
    Mahmud begann zu schnarchen. Sid fröstelte, er zog sich die Decke bis über die Schultern. Ein Wunder, dass es in Afrika nachts so kalt

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