Der Schatten des Horus
hinterlassen und eine tiefe Leere, ein Vakuum, das durch nichts gefüllt werden konnte. Nie. Anton Blomberg war der erste und einzige Mensch in seinem Leben gewesen, der ihn wirklich verstanden hatte, dem seine Meinung wichtig gewesen war. Gute Gespräche hatten sie gehabt, in der Mensa und im Gebäude der Akademie, nur leider viel zu wenige.
Blomberg war der Vater gewesen, den sich Birger Jacobsen immer gewünscht, den er in tränenreichen Nächten herbeizubeten versucht hatte, wenn ihm der Rücken schmerzte von den Prügeln seines Erzeugers. Seinetwegen war er zunächst zu den Versammlungen in der Höhle unter Manhattan erschienen, bis die Predigten des Seth-Sehers die Flamme auch in ihm entzündet hatten. Dann war Blomberg eines Tages nicht zu einer Verabredung zum Abendessen erschienen. Er hatte sich erhängt, direkt über seinem Schreibtisch, der seitdem Birgers Schreibtisch war.
Einer seiner Mitspieler stupste ihn an. Birger Jacobsen sprang auf.
»Was soll der ganze Mist?«, fluchte er und schleuderte seine Karten auf den Tisch. Sein linkes Augenlid zuckte wild. »Wie könnt ihr spielen, wenn mein Vater tot ist?« Eine einzelne salzige Träne fand den Weg über die Wange in seinen Mundwinkel.
Er warf das gewonnene Geld zwischen die Gläser und rannte auf die Straße.
47. Kapitel
Theben West, Sonntag, 4 . November 2007, Vormittag
I hold back the yelling. I hold back till they get to my temples. I’m not sure it’s one of those substitute machines and not a shaver till it gets to my temples; then I can’t hold back. It’s not a will-power thing any more when they get to my temples. It’s a … button, pushed, says Air Raid Air Raid, turns me on so loud it’s like no sound, everybody yelling at me, hands over their ears from behind a glass wall, faces working around in talk circles but no sound from the mouths. My sound soaks up all other sound. They start the fog machine again and it’s snowing down cold and white all over me like skim milk, so thick I might even be able to hide in it if they didn’t have a hold on me.
Sid sah von dem abgegriffenen Taschenbuch auf, das er in einem schmalen Bücherregal an der Rezeption gefunden hatte. Trotz seines angeschlagenen Zustands war ihm der Name des Autors wie ein hungriger Tiger ins Gesicht gesprungen: Ken Kesey, ein Name, den M r Wallace in seinem Literaturkurs über die Beat-Poeten und ihre Nachfolger in jeder Stunde mindestens zehnmal erwähnt hatte. Und dieses Buch hier, One Flew Over the Cuckoo’s Nest, war sein erfolgreichstes gewesen. 59 . Auflage stand auf der vierten Seite. Verfilmt mit Jack Nicholson in der Hauptrolle, fünf Oscars. Es spielte im Irrenhaus, und Sid fand sich in jedem verdammten Satz wieder.
Wortlos zog er sich an und ging ins Bad. Dieser Mensch bestimmt dein Schicksal , hatte Rascal mit Lippenstift in einem Bogen auf den Spiegel geschrieben. Die Worte rahmten sein Gesicht ein wie eine Girlande.
Sechs Tage lang hatte er sich von Rascal pflegen lassen, sie war eine strenge Krankenschwester, aber nicht so streng wie die Big Nurse in Keseys Roman. Sechs Tage lang hatte sie darauf bestanden, ihm jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Sechs Tage lang hatte sie ihn gefüttert und ihm zu trinken gegeben, bis die blauen Flecken verblasst, die Schwellungen halbwegs abgeheilt waren. Nach der engen, stinkenden Zelle kam ihm das helle Zimmer im Luxor Wena Hotel wie ein Palast vor. Zwar hatte das Kolonialhaus schon bessere Zeiten erlebt, aber der Blick auf die Tempelanlage war unschlagbar. Zuletzt hatte ihn Rascal sogar in den riesigen Garten begleitet, hier war es schattig und kühl. Sechs Tage hatten sie nicht davon gesprochen, wie alles weitergehen würde. Sid hatte tatsächlich kaum einmal weniger als vierzehn Stunden geschlafen und den Rest des Tages mit der Erkundung der aktuellen Musiklandschaft verbracht. Der iPod war heiß gelaufen bei Franz Ferdinand, Babyshambles, Maximo Park, Kaiser Chiefs und immer wieder bei den fantastischen Arcade Fire. Ihre Songs pumpten Sids Körper mit Energie auf, bis er sich fast wieder so kräftig fühlte wie vor seiner Verhaftung.
Sie trafen sich am Ford und knatterten wortlos zum großen Fluss. Mit der Fähre setzten sie über den Nil, die Luft roch nach Algen und Wasserpflanzen, nach unreinem Diesel und dem Teer vom Kiel des Schiffes. Die Lotossäulen des Tempels grüßten herüber. Zum ersten Mal in seinem Leben glaubte Sid Freiheit zu fühlen, trotz des fremden Herzens, das ihn in seinen Klauen
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