Der Schatten des Horus
hielt.
Auf der Westseite von Theben angekommen, umkurvte Yusuf in einem großen Bogen Felder und Hügel, bis sie eine steinige Straße in das karge Wadi führte, dessen Name Großes verkündete: das Tal der Könige.
Während sich Yusuf am Ticketschalter in der Schlange nach vorne komplimentierte, sah sich Sid um. Kein Wunder, dachte er, dass die Pharaonen auf die Idee gekommen waren, sich hier zur ewigen Ruhe betten zu lassen. Ohne Vorwissen konnte niemand erwarten, in dieser Einöde auf Kostbarkeiten zu stoßen. Auf den Felsen wuchs nicht einmal der kleinste Grashalm. Genutzt hatte es ihnen trotzdem nichts, wie er von Husni Abd-er-Rassoul erfahren hatte. Bis auf das kostbare Grab von Tutanchamun, dessen Entdeckung 1922 eine Weltsensation darstellte, waren all diese letzten Ruhestätten geplündert worden. Viele schon, bevor das Wachs der Mumien richtig getrocknet war.
Die Sonne brannte vom Himmel, die Luft stand unbeweglich und verwandelte die Senke in einen Glutofen, jeden Tag aufs Neue. Auch die Hitze sollte wohl Diebe abschrecken.
Rascal schien ebenso angetan von diesem Ort, der die Fantasie der halben Menschheit anregte. Mit ihren blauen Augen tastete sie jeden einzelnen Kiesel ab. Zwischendurch warf sie immer wieder einen Blick in den Lonely Planet .
»Siehst du die lange Schlange da?«, fragte sie. »Das muss die Grabkammer von Tutanchamun sein. Zu dem wollen natürlich alle. Wir müssen aber ein Stück weiter geradeaus, wenn mich nicht alles täuscht. K V 32 liegt fast am Ende des Tals.«
Yusuf winkte schon von Weitem mit den Tickets. »Damit hat jeder von euch Zutritt zu drei Gräbern. Allerdings ist Gra b 32 nicht für Besucher zugänglich.«
Sid zuckte zusammen. »Was heißt das?«
Yusuf wiegte den Kopf hin und her. »Alles und nichts. Extra-Ticket, du weißt schon!« Er zwinkerte Sid zu. »Man nennt Theben auch die Schikane-Hauptstadt Afrikas. Jeder hier will die Dollars der reichen Touristen und Dreck wird mit Gold aufgewogen. Aber du willst etwas, was man nirgendwo sonst auf der Welt bekommt, und das für ein bisschen Bakschisch.«
Seufzend griff Sid in die Tasche. Viel war nicht mehr übrig, der größte Teil seines Geldes lag in irgendeinem Safe im Tora Prison. Und Yusuf hatte noch keinen Cent von seinem vereinbarten Lohn gesehen.
Die Augen auf den Lageplan geheftet, leitete Rascal sie über die Schotterwege. In einige Hügel führten schmale Stollen, an manchen Eingängen entdeckte Sid die Nummerierungen, rote Schrift auf Stein: K V 7, K V 62, K V 9.
»K V 32 ist ein ganz besonderes Grab«, wusste Rascal zu berichten. »Ich hab in den letzten Tagen öfter mein Notebook eingeschaltet und ein bisschen recherchiert.«
Sid wurde neugierig. »Was hast du rausgekriegt?«
Rascal lachte. »Die Infos sind für eine starke Frau wie mich gemacht! K V 32 ist das einzige Grab hier im Tal, in dem eine Pharaonengattin bestattet wurde. Tia’a war die Gemahlin von Amenophi s II. und Mutter seines Nachfolgers Thutmosi s IV. Es ist nicht auf dem Plan verzeichnet, liegt aber wohl gleich bei K V 34. Hier müssen wir hoch!«
Rascal zeigte auf einen schmalen Weg, der sich zwischen Gesteinsbrocken hindurch nach oben schlängelte. Ein Schild machte auf K V 34 Thutmosi s III. aufmerksam.
Sid wischte sich den Schweiß ab. Er spürte nun doch, dass er die vergangenen Tage im Bett zugebracht hatte. Seine Beine weigerten sich, den Berg in Angriff zu nehmen. Die Plastikflasche, die ihm Yusuf reichte, trank er in einem Zug halb leer. Trotzdem wollte der Staub nicht aus seiner Kehle verschwinden.
»Hier ist der Eingang!«, rief Rascal. Sid schnaufte erleichtert auf, die paar Meter würde er auch noch schaffen. Ein Mann mit Kaftan und Fez schien sie schon zu erwarten, ein Zwanzig-Dollar-Schein machte den Weg frei. Yusuf hatte Recht, man durfte sich über die Bakschisch-Mentalität nicht aufregen.
»Wenn ihr nichts dagegen habt, bleibe ich lieber draußen«, sagte Yusuf nach einem flüchtigen Blick in den Schacht. »Vor ein paar Jahren ist eine Kanadierin in ein nicht öffentliches Grab geklettert und unten im Stollen umgeknickt.«
Sid nickte. »Und hat man sie gefunden?«
»Ja. Zwei Jahre später. Und neben ihr ein Tagebuch auf Taschentüchern. Es war schrecklich!«
Sid lief es bei dem Gedanken an die Frau kalt den Rücken herunter. Was konnte schlimmer sein, als bei vollem Bewusstsein zu verdursten, aber immer zu hoffen, im nächsten Moment gerettet zu werden. »Ich glaube, ich habe nichts dagegen, wenn du
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