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Der Schatten des Horus

Der Schatten des Horus

Titel: Der Schatten des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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»Geh weg!« Schweiß brach ihm aus.
    Augenblicklich verstärkte sich der Lufthauch, es wurde eiskalt in dem Raum. Sids Atem, der sich nun bebend seinen Weg in die Freiheit presste, bildete Wölkchen vor seinem Mund.
    Wie bröckelnder Putz fiel die Schönheit von der Frau ab. Eine weibliche Mumie wankte auf ihn zu, ihre langen schwarzen Haare wurden stumpf. Matte, ledrige Haut spannte sich über das knochige Gesicht, die linke Hand lag zur Kralle verkrümmt auf ihrer Brust, den Daumen weit abgespreizt. Unterhalb des Brustbeins war die Körperhöhle geöffnet, wo die inneren Organe sein sollten, klaffte ein großes Loch. Ihre spindeldürren Beine bewegten sich nicht, trotzdem kam sie näher. Sid spürte, wie ihn Panik überrollte. Er öffnete den Mund, um zu schreien, aber nur sein rasselnder Atem schaffte sich pfeifend Platz, ihm wurde übel.
    Die Mumie war jetzt so nah vor ihm, dass er das Wachs riechen konnte, mit dem sie einbalsamiert worden war. Wachs und Natron. Sid versuchte seinen Blick von der grausigen Szenerie abzuwenden, aber es gelang ihm nicht. Wie magnetisch zog ihr Gesicht jede Aufmerksamkeit auf sich. Das rechte Auge der Frau starrte Sid vorwurfsvoll und traurig an, die linke Gesichtshälfte war eingedrückt, als hätte sie unter einer knochenverzehrenden Krankheit gelitten. Das linke Lid war verschlossen.
    »Warum zweifelst du an Seth?«, flüsterte sie eindringlich. »Ihm haben wir alles zu verdanken!« Ihr nach unten gezogener Mund zeigte keine Regung.
    Sid keuchte.
    »Sid?« Der Strahl einer Taschenlampe leuchtete in die Kammer. Die Mumie war weg. »Sid!«, schrie Rascal auf. Erschrocken ließ sie die Lampe fallen. Er musste fürchterlich aussehen. »Was ist passiert?« Sie schloss ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich.
    Sid schüttelte sich. Rascals Nähe tat gut, half aber nicht viel. Die Mumie war aus dem Raum verschwunden, nicht aber aus seinem Kopf. Ihre Worte hallten von seiner Schädeldecke zurück. Warum zweifelst du an Seth? Was bedeutete das? War Seth gar nicht böse? Doch was wusste er schon über ihn und seinen Hohepriester? Vielleicht war das Mumienher z …
    »Sid!« Rascals fordernder Ton riss ihn aus seinen Gedanken. »Sag schon!«
    Sid biss sich auf die Lippen. »Das hier ist die Sarkophagkammer«, antwortete er ausweichend. »Hier haben die Priester Tia’a abgelegt!«
    »Wohe r …?« Mitten im Satz brach Rascal ab und hob die Lampe wieder auf. »Hast du sie gesehen?«, fragte sie vorsichtig. Sid nickte nur. Jedes Wort der Beschreibung wäre ihm wie ein Verrat an der Königin vorgekommen.
    »Hier drin ist nichts, was zu Nagy gehört«, sagte er schnell. »Tia’as Grab ist hier zu Ende. Über den kleinen Gang da gelangt man in Siptahs Grab.« Woher er das wusste, war ihm nicht klar und Rascal stellte keine weiteren Fragen. Schweigend machten sie sich auf den anstrengenden Rückweg. Draußen schien die Sonne. Natürlich.
    Yusuf sah auf die Uhr. »Dreißig Minuten, gerade lang genug, um mich nervös zu machen.« Er zwinkerte ihnen lächelnd zu. »Und? Seid ihr fündig geworden?«
    Sid kickte einen Stein weg. »Nein, es wirkt so aufgeräumt. Wer kann uns denn etwas zu dem Grab sagen?«
    Yusuf sah sich um, dann pfiff er. Der Wächter, dem Sid die zwanzig Dollar in die Hand gedrückt hatte, stieg zu ihnen auf den Hügel. Die beiden Ägypter wechselten ein paar Worte.
    »Er sagt, ihr seid nicht die Ersten, die sich für K V 32 interessieren«, übersetzte Yusuf. »Vor sieben Jahren kam eine Forschungsgruppe aus der Schweiz und hat alle Kammern freigelegt, vermessen und jedes Krümelchen darin gesiebt. Was nicht Sand oder Fels war, wurde mühevoll zusammengesetzt und steht jetzt im Museum.«
    Sid schnitt eine Grimasse.
    »Haben sie etwas Ungewöhnliches gefunden?«, hakte Rascal nach. »Vielleicht ein Notizbuch?«
    Yusuf übersetzte die Frage, schüttelte dann aber den Kopf. »Er weiß es nicht. Kann sein, kann nicht sein!«
    »Danke!«, knurrte Sid. »Dann endet hier unsere Spur. Von jetzt ab müssen wir alleine klarkommen, ohne Nagys Hinweise.«
    Den ganzen Weg zurück nach Theben fluchte er in sich hinein. Sie mussten die Mumie Setepenseths finden, um den Dämon zu besiegen, zur Not auch ohne Nagy.
    Als Yusuf gähnend auf sein Zimmer verschwunden war, kam Sid plötzlich eine Idee. »Schnell, schmeiß dein Notebook an!«, kommandierte er.
    Rascal sah ihn fragend an, stöpselte aber das Kabel ein. »Eine Frage haben wir uns noch gar nicht gestellt«, sagte Sid als Erklärung.

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