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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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nachdenklich.
    »Ich war dem alten Kropke als Sitzungsvertreter zugeteilt, damals in der Verhandlung gegen Thalmann«, sagte er dann. Berndorf erinnerte sich.
    »Ich denke, dass es ein Fehlurteil war. Thalmann war so extrem medikamentenabhängig, dass man die Frage der
Schuldfähigkeit hätte genauer prüfen müssen. Übrigens hat er mir selbst den Hinweis geliefert.« Desarts machte eine Pause. »Das Zeugs heißt oder hieß Sansopan, es sind Stäbchen mit markierten Bruchstellen, man bricht sich ein oder zwei Teile ab, nie mehr. Ich weiß das, weil meine Frau es genommen hat. Thalmann hat jeweils die ganzen Stäbchen geschluckt, ich habe ihn extra danach gefragt.«
    Berndorf wusste, warum Desarts danach gefragt hatte. Desarts Frau war depressiv, vor einigen Jahren hatte er sich scheiden lassen, vielleicht auch, weil sie ihn nicht mehr ertrug.
    »Der Sachverständige hat damals eine Abhängigkeit heftig bestritten«, sagte er schließlich.
    »Wissen Sie, wer der Sachverständige war?«, fragte Desarts bitter. »Es war Professor Gustav Twienholt, ein Pharmakologe, hoch angesehen, versteht sich, und vor seiner Berufung nach Ulm Leiter des Entwicklungslabors von Luethi in Saulgau. Luethi hat das Patent auf Sansopan und mehrere andere Medikamente dieser Art.« Desarts hob die Stimme. »Twienholt hat in eigener Sache begutachtet.«
    Berndorf warf Desarts einen fragenden Blick zu. »Ich hab’ das damals auch Kropke gesagt«, antwortete der Staatsanwalt. Seine Stimme hatte sich wieder gesenkt. »Er hat gemeint, es sei Sache der Verteidigung, das zu rügen. Der Anwalt Halberg besorge ja auch nicht die Geschäfte der Staatsanwaltschaft, hat er gemeint.«
    Dann kamen sie auf den Fall Tiefenbach zu sprechen. Viel ist es nicht, sagte Berndorf, als er vorgetragen hatte, was er gesehen und – vor allem – was er von Rauwolf erfahren hatte. Dann schob er noch die beiden Brocken nach, die er auch Englin vorgeworfen hatte.
    »Ein Mann, der nicht genommen haben kann, was er genommen hat, der nicht dorthin gefahren ist, wohin er gefahren ist, und der am 20. Januar nicht das Bayern-Spiel angeschaut hat«, fasste Desarts zusammen. »Es wäre nicht
schlecht, Berndorf, wenn wir auch eine positive Aussage hätten. Einen klitzekleinen Hinweis darauf, dass jemand auch etwas getan hat. Dass jemand tatsächlich mit K.-o.-Tropfen hantiert oder wirklich umgebaute Eisenbahnwaggons bestellt. Aus dem, was wer nicht getan hat, kann ich schlecht eine Anklage zusammenschustern.«
    Berndorf schaute Desarts an.
    »Entschuldigung«, sagte der Staatsanwalt, »ich weiß, dass Sie das auch wissen. Fahren Sie nach Görlitz?«
    Er habe für die nächsten Tage einen Flug von Stuttgart-Echterdingen nach Dresden gebucht, antwortete Berndorf. Von dort werde er mit dem Zug nach Görlitz fahren: »Es gibt da ein paar Leute, mit denen ich reden will.«
     
    Die Herren trugen Smoking und Sonnenbrillen, und die Damen waren vollbusig. Irgendwann in den 50er-Jahren hatte sie ein Ulmer Malermeister auf die Fassade eines zweigeschossigen Baus gepinselt. Es war das »Lido«, nach dem Krieg auf einem Ruinengrundstück provisorisch hochgezogen und seither unter wechselnden Pächtern eine der wenigen Stätten des Ulmer Nachtlebens. Es lag zwischen einer Tankstelle und Wohnblocks, die dort um die Jahrhundertwende aus Backsteinen hingestellt worden waren.
    Drinnen roch es nach kaltem Rauch und abgestandenem Bier. Im schummrigen Licht sah Tamar Spieltische, an den Wänden hingen Aufnahmen von Nackttänzerinnen. Einige davon zeigten halbe Kinder.
    Die Stühle waren noch auf die Tische gestellt. Eine Putzfrau kam auf sie zu: »Noch nicht offen. Gehen Sie! Erst in zwei Stunden.« Es war eine ältere Frau mit einem Kopftuch; Tamar spürte den ärgerlichen und verächtlichen Blick, mit dem die Frau sie von der Seite musterte.
    Felleisen griff sich einen der Stühle von dem Tisch, neben dem er stand, und stellte ihn Tamar hin.
    Dann nahm er sich einen zweiten und setzte sich. »Rufen
Sie Holaschke«, sagte er zu der Putzfrau. »Sagen Sie ihm, Felleisen ist hier.«
    Er holte ein silbernes Zigarettenetui heraus, klappte es auf und bot Tamar an, sich zu bedienen. Sie lehnte ab. »Sie haben ja so Recht«, sagte Felleisen und zündete sich eine filterlose Zigarette an. »Fangen Sie gar nicht erst damit an. Ich zum Beispiel schaff’ es nicht, davon loszukommen. Neulich habe ich es sogar bei einem Hypnotiseur versucht.«
    »Es hat nicht geholfen?«, fragte Tamar.
    »Es kam gar nicht

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