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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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er Tamar. »Wir lassen ihn untersuchen.« Das Rasiermesser selbst war nicht zu finden. Ebenso wenig Papiere oder Dokumente oder Geld.
    Die Pensionswirtin wollte wissen, wer ihr jetzt das Zimmer bezahle. »Hat der Herr Meiner nicht im Voraus bezahlt?«, fragte Berndorf: »Sonst tut er das immer.« Die Wirtin wollte noch protestieren, ließ es dann aber bleiben.
    »Ich fass’ es noch immer nicht, dass er tatsächlich in Plochingen war«, sagte Tamar. Berndorf hob hilflos beide Hände. »Wir sehen ja, dass es ein guter Platz für ihn war. Er ist weg, und wir haben keine Ahnung, wo er steckt.«
    Es war Vormittag, kurz vor 10 Uhr. Für den frühen Nachmittag hatte Berndorf ein Gespräch mit Hannah vereinbart. Nach dem Mord an Halberg habe sich die Lage verändert, hatte er der widerstrebenden Tamar erklärt, und sie müssten prüfen, ob die junge Frau nicht doch irgendwelche Hinweise auf die weiteren Pläne ihres Vaters habe.
    Die Zwischenzeit wollte er zu einem Besuch bei der Zentralstelle in Ludwigsburg nutzen. Noch am Freitag hatte er Staatsanwalt Karl-Martin Heuchert angerufen. Er war der Staatsanwalt, der die Anzeige des Strafgefangenen Thalmann mit der Bitte um konkrete Angaben beantwortet oder vielmehr abgewimmelt hatte. Nach einigem Zögern hatte Heuchert
zugesagt, die beiden Ulmer Beamten am Samstag Vormittag zu empfangen.
    »Ganz klar ist mir ja nicht, was das mit der Sache Thalmann zu tun hat«, sagte Tamar, als sie in Plochingen losfuhren.
    »Mir ja auch nicht«, gestand Berndorf.
     
    Staatsanwalt Karl-Martin Heuchert war ein zurückhaltender Mann mit unruhigen Augen. Er bat seine Besucher an einen Besprechungstisch, auf dem mehrere Aktenbündel lagen. »Ich habe nicht ganz verstanden, weshalb Sie mich aufsuchen«, sagte er dann und sah von Tamar zu Berndorf und dann wieder zu Tamar.
    Berndorf schilderte ihm kurz den Fall Thalmann, dessen Ausbruch aus Mariazell und den Mord an Halberg. Dann zeigte er ihm den Ordner mit Thalmanns Briefen. »Wir wissen nicht, welche Bedeutung das hat. Aber Thalmann war tablettenabhängig, und er hat sich in der Haft mit der Geschichte der Psychopharmaka beschäftigt. Er hat deswegen an Sie geschrieben. Was er sich zusammengereimt hat, mag eine fixe Idee sein. Aber möglicherweise können sich daraus Anhaltspunkte für seine weiteren Pläne ableiten lassen.«
    Heuchert nickte höflich und überflog die Kopie der Strafanzeige Thalmanns. »Ich erinnere mich. Wir haben damals lediglich um konkrete Angaben gebeten – verstehen Sie, wir sind keine Auskunftei. Und wir können auch keinen finsteren Weltverschwörungstheorien nachgehen.«
    Berndorf wartete. Nach einer längeren Pause sprach der Staatsanwalt weiter. »Der Sachverhalt selbst ist unstrittig. Bei den nationalsozialistischen Menschenversuchen ist auch mit Wirkstoffen experimentiert worden, die Bewusstsein und Wahrnehmungsfähigkeit verändern. Anders, als es dieser Herr Thalmann vermutet, sind diese Versuche nicht nur in den Konzentrationslagern durchgeführt worden. Es hat solche Versuche auch außerhalb der KZ gegeben, vor allem
dann, wenn universitäre Forschungsstellen beteiligt waren. Leider liegen uns gerade aus diesem Bereich nur sehr wenig Dokumente vor.«
    Berndorf erinnerte sich an das Gespräch mit Kovacz. »Auch nicht über die Forschungsgruppe Remsheimer?«, fragte er dann.
    Der Staatsanwalt betrachtete ihn aufmerksam. »Sie hätten mich gleich danach fragen sollen.« Er zog sich das Telefon heran. »Über die Gruppe Remsheimer haben wir allerdings Material. Ich lasse Ihnen die verfügbaren Akten heraussuchen. Wir haben ein Bibliothekszimmer: Dort können Sie das Material durchsehen und sich Notizen machen.«
     
    In dem Arbeitsraum standen mehrere Tische vor einer Bücherwand mit Nachschlagewerken und den Fortsetzungsbänden von Fachzeitschriften. Ein Mann in einem grauen Arbeitsmantel stellte schweigend eine Reihe von Aktenordnern vor ihnen auf.
    »Dieses Material ist während des Ermittlungsverfahrens gegen Professor Dr. Hannsheinrich Remsheimer zusammengetragen worden«, erläuterte Heuchert. »Remsheimer war Universitätsdozent in München und an den Kälteversuchen im Konzentrationslager Dachau beteiligt. 1944 hat ihn die Hauptverwaltung des Sanitätswesens der Wehrmacht mit der Weiterführung dieser Versuche beauftragt. Gleichzeitig wurde Remsheimer an die Universität Tübingen berufen. Die Versuche fanden während der letzten Kriegsmonate in der Landespflegeanstalt Christophsbrunn statt.«
    Berndorf

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