Der Schatten des Schwans
nicht schwäbisch gesprochen haben. Es musste immer hochdeutsch sein. Manchmal hat sich der Herr Dr. Samnacher darüber lustig gemacht. Dr. Samnacher war Oberbayer und immer sehr leutselig zu den Pflegekräften.«
Von Menschenversuchen, von Experimenten an Gefangenen wollte keiner der Zeugen etwas gehört haben. Nein, hatte eine Sekretärin in ihrer Vernehmung ausgesagt, eine Hildegard Vöhringer, die Kriegsgefangenen seien gut behandelt worden: »Aber die meisten waren sehr krank. Manche sind dann noch von Herrn Oberarzt Hendriksen operiert worden.«
Seiffert hatte dann wissen wollen, ob die Patienten denn wieder gesund geworden seien. Die Zeugin wich aus: »Ob Patienten wieder entlassen worden sind, weiß ich nicht. Sie waren ja schon sehr krank.«
Seiffert hielt ihr dann vor, dass bei Kriegsende keiner der Gefangenen in der Station mehr am Leben war.
Die Antwort: »Wo sie verblieben sind, weiß ich nicht. Damit war unsere Verwaltung nicht befasst.«
Eine zweite Frau, eine Roswitha Belz, hatte Seiffert berichtet, »dass einige von den Gefangenen lange geschrien haben«. Dr. Hendriksen habe dann angeordnet, »dass sie in ein kaltes Bad gelegt werden. Nach einer halben Stunde oder kürzer ist das Schreien dann immer weniger geworden.« Auf Seifferts Frage, ob sie sich nichts dabei gedacht habe, hatte sie geantwortet: »Wir hatten genug Arbeit. Und bei Herrn Oberarzt Hendriksen hat niemand Fragen gestellt. Er hätte es nicht geduldet.«
Schließlich fand Tamar noch die Aussage eines Pflegers, die beiden Oberärzte hätten die kranken Kriegsgefangenen mit Tabletten behandelt. »Das war genau festgelegt, wer was bekommen musste.« Er sei sich sicher, hatte der Pfleger erklärt, dass es sich bei diesen Medikamenten um starke Beruhigungsmittel gehandelt habe. »Die Patienten waren danach immer still und ruhig.«
Tamar notierte sich Stichworte und die Namen der Zeugen. »Hendriksen hat also die Gefangenen mit Beruhigungsmitteln wehrlos gemacht«, sagte sie dann zu Berndorf, »und dann zugesehen, wie lange sie zum Erfrieren brauchen. Oder welche sinnlosen Operationen sie aushalten. Hendriksen hat es getan. In Christophsbrunn ist er der Hauptverantwortliche.«
»Er hat das wohl auch so gesehen«, antwortete Berndorf. »Ich habe hier eine Aktennotiz vom 18. April 1945. Sie ist an die Hauptverwaltung des Sanitätswesens gerichtet, also an die Wehrmacht und nicht an die Universität. Vermutlich ist die Notiz deshalb erhalten geblieben. Da heißt es: ›Mit dem heutigen Tage habe ich sämtliche Arbeiten an dem Vorhaben Schwanensee eingestellt und die bisher erarbeiteten Ergebnisse weisungsgemäß der Vernichtung zugeführt. Mit deutschem
Gruß! gezeichnet Dr. Hendrik Hendriksen.‹ Seltsam, finden Sie nicht?«
Tamar runzelte die Stirn. »Es klingt falsch. Wenn jemand Spuren verwischen will, dann gibt er das doch nicht zu Protokoll.«
»Es sei denn, er hat einen triftigen Grund«, antwortete Berndorf. »Und der kann nur darin bestehen, dass er die Unterlagen eben nicht vernichtet hat.«
Tamar blickte skeptisch. »Hendriksen hätte also die Forschungsergebnisse zur Seite geschafft, um sie nach dem Krieg gewinnbringend zu verkaufen? Tut mir Leid, Chef, aber das erinnert mich irgendwie an die Geschichte von Hitlers Tagebüchern.«
»Warten Sie ab«, sagte Berndorf leicht pikiert. »Ich hab’ hier gerade nachgelesen, was aus diesem Luitbold Samnacher geworden ist, dem anderen Helfer des Professors Remsheimer. Bevor er nach Christophsbrunn kam, war Samnacher Lagerarzt in Buchenwald. 1947 ist er deswegen im Buchenwald-Prozess zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Das war schon gnädig.«
Er machte eine kurze Pause. Was wusste er denn, überlegte er, wie gnädig 20 Jahre Knast sind? »Egal«, fuhr er dann fort. »Aufschlussreich ist, dass er von diesen 20 Jahren keinen Tag abgesessen hat. Noch im gleichen Jahr 1947 haben ihn die Amerikaner zu weiteren Vernehmungen in die USA überstellt. Danach lebte er unbehelligt und in Freiheit unter der kalifornischen Sonne, bis 1952. Da ist er dann nach Argentinien übergesiedelt, wo es damals noch den Diktator Perón gab, der seine schützende Hand über solche Leute hielt. Und wenn Samnacher nicht 1979 bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen wäre, würde er heute noch glücklich und zufrieden als Neurologe in Buenos Aires praktizieren. Ich hoffe, dass bei dem Wohnungsbrand jemand nachgeholfen hat.«
»Moment«, sagte Tamar. »Was wollten die Amerikaner von ihm?«
»Das
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