Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
blickte sie stirnrunzelnd einen Stich mit einem Stadtplan von Tanchico an. Es war nicht viel Nützliches eingezeichnet. Ein Dutzend Festungen, die den Hafen umstanden und die Stadt auf ihren drei hügeligen Halbinseln schützten - Verana im Osten, Maseta in der Mitte und Calpene dem Meer am nächsten. Ein paar große Plätze, mehrere Flächen, die wohl Parks darstellen sollten und eine Anzahl von Denkmälern von Herrschern, die schon längst zu Staub verfallen waren. Alles nutzlos. Ein paar Schlösser und einige seltsam anmutende Dinge. Der Große Kreis auf Calpene zum Beispiel. Auf der Karte war er einfach als Ring eingezeichnet, aber Meister Romavni beschrieb ihn als riesigen Versammlungsort, an dem sich Tausende einfanden, um Pferderennen zu beobachten oder die Feuerwerke der Gilde zu bestaunen. Es gab auf Maseta auch einen Königskreis, und der war größer als der Große Kreis, und auf Verana gab es den Kreis der Panarchen, der auch nicht viel kleiner war. Das Gildehaus der Feuerwerker war ebenfalls eingezeichnet. Das war alles nutzlos. Und auch im Text fand sich nichts Brauchbares. »Bist du sicher, daß du es ohne den Ring versuchen willst?« fragte Nynaeve leise.
    »Ganz sicher«, antwortete Egwene so ruhig sie eben konnte. Ihr Magen flatterte genauso gequält wie heute abend, als sie den ersten Trolloc gesehen hatte, der eine arme Frau am Haarschopf gehalten und ihr die Kehle durchgeschnitten hatte wie bei einem Kaninchen. Die Frau hatte auch wie ein Kaninchen gequiekt. Es hatte nichts gebracht, den Trolloc zu töten; die Frau war genauso tot gewesen. Nur ihr schrilles Schreien ging ihr nicht aus den Ohren. »Wenn es nicht klappt, kann ich es immer noch mit dem Ring probieren.« Sie beugte sich vor und kratzte mit dem Fingernagel eine Markierung in die Kerze. »Weckt mich, wenn sie so weit heruntergebrannt ist. Licht, ich wünschte, wir hätten eine Uhr.« Elayne lachte sie aus. Es klang bei ihr heiter und ungezwungen. Beinahe. »Eine Uhr in einem Schlafzimmer? Meine Mutter hat ein Dutzend Uhren, aber ich habe noch nie von einer Uhr in einem Schlafzimmer gehört.« »Also, mein Vater hat auch eine Uhr«, knurrte Egwene, »die einzige im ganzen Dorf, und ich wünschte, ich hätte sie jetzt hier. Glaubt ihr, sie wird eine Stunde brauchen, bis sie heruntergebrannt ist? Ich will nicht länger schlafen. Ihr müßt mich wecken, sobald die Flamme diese Markierung erreicht. Sofort!« »Das werden wir«, sagte Elayne beruhigend. »Ich verspreche es.« »Der Steinring«, sagte Aviendha plötzlich. »Da du ihn nicht benützt, Egwene, könnte dann nicht jemand - eine von uns - ihn benützen, um mit dir zu kommen?« »Nein«, seufzte Egwene. Licht, ich wünschte, sie würden alle mitkommen. »Aber trotzdem vielen Dank, daß du daran gedacht hast.« »Kannst nur du ihn benützen, Egwene?« fragte die Aielfrau.
    »Jede von uns könnte das«, antwortete Nynaeve, »selbst du, Aviendha. Eine Frau muß dazu nicht die Macht benützen können. Sie muß nur schlafen, und der Ring sollte ihre Haut berühren. Soweit wir wissen, könnte auch ein Mann dasselbe fertigbringen. Aber wir alle kennen Tel'aran'rhiod nicht so gut wie Egwene, genausowenig wie die Naturgesetze dort.« Aviendha nickte. »Das verstehe ich. Eine Frau könnte Fehler begehen, wenn sie sich nicht auskennt, und ihre Fehler könnten sich auch für andere tödlich auswirken.« »Genau«, sagte Nynaeve. »Die Welt der Träume ist ein gefährlicher Ort. Soviel wissen wir.« »Aber Egwene wird vorsichtig sein«, versicherte Elayne. Sie sprach wohl zu Aviendha gewandt, aber offensichtlich waren die Worte für Egwenes Ohren bestimmt. »Sie hat es versprochen. Sie wird sich umsehen - vorsichtig! - und nicht mehr.« Egwene konzentrierte sich auf den Stadtplan. Vorsichtig. Wenn sie ihren verdrehten Steinring nicht so eifersüchtig bewacht hätte - sie betrachtete ihn als ihren Besitz, auch wenn ihr der Saal der Burg da nicht zugestimmt hätte, doch die wußten gar nicht, daß sie ihn hatte - wenn sie zugelassen hätte, daß Elayne und Nynaeve ihn mehr als nur ein- oder zweimal benutzt hätten, dann wüßten sie vielleicht genug, um sie jetzt zu begleiten. Doch es war nicht das Bedauern darüber, das sie die Blicke der anderen Frauen meiden ließ. Sie wollte nicht, daß sie die Furcht in ihren Augen bemerkten.
    Tel'aran'rhiod. Die Unsichtbare Welt. Die Welt der Träume. Nicht der Träume gewöhnlicher Menschen, obwohl auch sie manchmal Tel'aran'rhiod für kurze Zeit streiften,

Weitere Kostenlose Bücher