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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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gleichzeitig. Bald jedenfalls.
    Die blonde Adelin schritt leichtfüßig vor dem Apfelschimmel einher, und neun weitere sonnenverbrannte Far Dareis Mai bildeten einen weiten Kreis um ihn, alle mit den kleinen Schilden und den kurzen Speeren in der Hand und auf dem Rücken die Bögen in ihren Futteralen. Die schwarzen Schleier hingen auf ihrer Brust, bereit, sofort hochgezogen zu werden. Rands Ehrenwache. Die Aiel nannten es wohl nicht so, aber die Töchter des Speers kamen allein Rand zu Ehren mit nach Alcair Dal. Es gab so viele feine Unterschiede und Abstufungen, doch er erkannte die Hälfte nicht einmal oder wußte nicht, was sie zu bedeuten hatten, auch wenn er sie bemerkte.
    Zum Beispiel betraf das Aviendhas Verhalten den Töchtern des Speers und deren Verhalten Aviendha gegenüber. Die meiste Zeit ging sie, wie auch jetzt, neben ihm her, die Arme unter dem um ihre Schultern liegenden Schal verschränkt, den Blick aus ihren grünen Augen unter dem dunklen Kopftuch auf die Berge vor ihnen gerichtet. Sie sprach selten mehr als ein oder zwei Worte mit den Töchtern, aber das war nicht das einzige, was Rand auffiel. Vor allem war die Tatsache eigenartig, daß sie die Arme verschränkt hatte. Die Töchter wußten: Sie trug den Elfenbeinarmreif, aber sie taten so, als bemerkten sie ihn nicht, und sie nahm ihn nicht ab, verbarg aber immer ihren Unterarm, wenn sie glaubte, daß jemand hinsah.
    Ihr gehört keiner Kriegergemeinschaft an, hatte Adelin zu ihm gesagt, als er vorschlug, daß andere und nicht gerade immer die Töchter des Speers seine Eskorte bilden sollten. Jeder Häuptling, ob er nun einem Clan oder einer Septime vorstand, wurde von Männern aus der Gemeinschaft begleitet, der er früher angehört hatte, bevor er Häuptling geworden war. Ihr gehört keiner Gemeinschaft an, aber Eure Mutter war eine Tochter des Speers. Die blonde Frau und die anderen neun hatten Aviendha dabei nicht angesehen, die ein paar Schritt weiter im Eingang zu Lians Dach stand; zumindest hatten sie nicht auffällig hinübergeschaut. Ungezählte Jahre lang
    haben Töchter, die den Speer nicht aufgeben wollten, ihre Kinder den Weisen Frauen anvertraut, die sie anderen Frauen an Kindesstatt übergaben. Sie wußten nicht, wohin ihre Kinder gebracht wurden, ja, nicht einmal, ob es Junge oder Mädchen war. Nun ist der Sohn einer Tochter des Speers zu uns zurückgekehrt und wir haben ihn erkannt. Wir gehen Euch zu Ehren nach Alcair Dal, Sohn der Shaiel, der Tochter des Speers von den Chumai Taardad. Ihre Miene wirkte so entschlossen - wie bei ihnen allen, einschließlich Aviendha -, daß er glaubte, wenn er ablehnte, würden sie ihm anbieten, mit ihm den Tanz der Speere zu tanzen.
    Als er ihre Begleitung akzeptierte, ließen sie ihn diese Zeremonie mit dem ›Vergiß die Ehre nicht‹ erneut durchmachen, diesmal aber mit einem Getränk namens Oosquai, das man aus Zemai machte, und er mußte mit jeder einen kleinen Silberbecher vollständig leeren. Zehn Töchter, also zehn kleine Becher. Das Zeug sah aus wie leicht bräunlich gefärbtes Wasser, schmeckte auch so ähnlich, war aber stärker als doppeltgebrannter Schnaps. Er war nicht mehr in der Lage gewesen, geradeaus zu gehen. Sie hatten ihn ausgelacht und zu Bett gebracht. Er hatte wohl protestiert, doch sie hatten ihn so gekitzelt, daß er kaum Luft bekam, so mußte er selbst lachen. Alle hatten mitgemacht, bis auf Aviendha. Nicht, daß sie weggegangen wäre! Sie blieb und beobachtete alles mit steinernem Gesicht. Als Adelin und die anderen ihn schließlich unter die Decken gesteckt hatten und gingen, setzte sich Aviendha neben die Tür, breitete ihren dunklen, schweren Rock aus und beobachtete ihn weiter unbeweglich, bis er einschlief. Als er erwachte, war sie immer noch da und blickte ihn an. Und sie sprach nicht mit ihm, weder über die Töchter des Speers noch über Oosquai oder sonst etwas. Soweit es sie betraf, schien nichts davon geschehen zu sein. Die Töchter fragte er lieber nicht danach. Wie konnte er zehn Frauen ins Gesicht sehen und sie fragen, warum sie ihn betrunken und sich einen Spaß daraus gemacht hatten, ihn auszuziehen und ins Bett zu legen?
    So viele Unterschiede und so wenige, deren Sinn er erkennen konnte. Und er wußte nie, was ihn vielleicht zu Fall bringen und all seine Pläne zerstören konnte. Doch er konnte sich kein langes Warten leisten. Er blickte sich nach hinten um. Was geschehen war, war geschehen. Und wer weiß schon, was noch alles auf mich

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