Der Schatten erhebt sich
Meistens.« »Leere«, sagte Elayne schaudernd. »Kein Gefühl. Das klingt nicht so wie das, was wir tun.« »Doch, es ist ähnlich«, beharrte Egwene eifrig. »Rand, wir stellen es nur ein wenig anders an, aber im Prinzip kommt es aufs gleiche hinaus. Ich stelle mir vor, eine Blume zu sein, eine Rosenknospe, und zwar so lange, bis ich die Rosenknospe bin. Das ist auch ein wenig wie dein Nichts. Die Rosenknospe öffnet sich unter dem Licht Saidars, und ich lasse mich davon erfüllen. Durch diese Selbstaufgabe aber beherrsche ich es. Das war am schwersten zu lernen: wie man Saidar beherrscht, indem man sich ihm hingibt, aber mittlerweile kommt es mir so natürlich vor, daß ich nicht einmal mehr darüber nachdenke. Das ist der Schlüssel, Rand. Da bin ich sicher. Du mußt lernen, dich hinzugeben... « Er schüttelte lebhaft den Kopf.
»Das entspricht überhaupt nicht dem, was ich tue«, protestierte er. »Mich von ihm erfüllen lassen? Ich muß hinausgreifen und Saidin packen. Manchmal befindet sich gar nichts dort, wenn ich danach zu greifen versuche, nichts, was ich berühren könnte, aber wenn ich nicht von allein danach griffe, würde ich für alle Ewigkeit dastehen, und nichts würde geschehen. Es erfüllt mich schon, wenn ich es einmal im Griff habe, aber mich dem hingeben?« Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Egwene, wenn ich mich dem hingäbe, auch nur eine Minute lang, würde mich Saidin verschlingen. Es ist wie ein Strom aus geschmolzenem Metall, ein Feuermeer, alles Licht der Sonne, auf einen Fleck konzentriert. Ich muß darum kämpfen, daß es tut, was ich will, und dagegen ankämpfen, von ihm verschlungen zu werden.« Er seufzte. »Ich weiß aber sehr wohl, was du damit meinst, von Leben erfüllt zu sein, auch wenn mir die Verderbnis den Magen umdreht. Die Farben sind klarer, die Gerüche. Alles ist irgendwie wirklicher. Ich will es nicht wieder loslassen, wenn ich es einmal ergriffen habe, selbst wenn es mich zu verschlingen droht. Aber was den Rest betrifft... Sieh den Tatsachen ins Auge, Egwene. Die Burg hat recht in dieser Beziehung. Akzeptiere es als die Wahrheit, denn das ist es auch.« Sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich erst, wenn es mir bewiesen wird.« Es klang nicht so sicher und selbstbewußt wie zuvor und wie es klingen sollte. Was er gesagt hatte, war wie ein verzerrtes Spiegelbild ihrer eigenen Erfahrungen. Die Ähnlichkeiten betonten gleichzeitig die Unterschiede. Aber es gab Ähnlichkeiten. Sie würde nicht aufgeben. »Kannst du die Ströme auseinanderhalten? Luft, Wasser, Geist, Erde und Feuer?« »Manchmal«, sagte er bedächtig. »Gewöhnlich aber nicht. Ich nehme mir einfach, was ich brauche. Ich greife oft blind danach. Es ist schon seltsam. Manchmal muß ich etwas tun und schaffe es auch, aber ich weiß erst hinterher, was ich eigentlich gemacht habe und wie. Es ist, als erinnere ich mich an etwas, was ich schon vergessen hatte. Doch ich kann mich später dann daran erinnern, wie ich es anstellen muß. Meistens jedenfalls.« »Aber du erinnerst dich daran, ja?« beharrte sie. »Wie hast du diese Tischchen entzündet?« Sie hätte ihn auch gern gefragt, wie er sie zum Tanzen gebracht hatte. Sie glaubte, eine Möglichkeit zu kennen mit Hilfe von Luft und Wasser. Aber sie wollte lieber doch mit etwas Einfachem beginnen; eine Kerze anzünden und wieder auslöschen gehörte zu den ersten Dingen, die jede Novizin beherrschte.
Rands Gesicht wirkte schmerzerfüllt. »Ich weiß nicht.« Es klang verlegen. »Wenn ich Feuer brauche, für eine Lampe oder einen Kamin, dann mache ich es einfach, aber wie weiß ich nicht. Ich muß gar nicht erst nachdenken, wenn es um Feuer geht.« Das ergab beinahe einen Sinn. Von den Fünf Mächten waren Feuer und Erde bei den Männern am stärksten ausgeprägt gewesen während des Zeitalters der Legenden, Luft und Wasser dagegen bei den Frauen. Beim Element Geist hatte es sich die Waage gehalten. Egwene mußte auch kaum noch nachdenken, wenn sie Luft oder Wasser verwenden wollte, sobald sie eine Sache einmal erlernt hatte. Doch das half ihnen nun auch nicht weiter.
Diesmal war es Elayne, die nicht nachgab. »Weißt du, wie du sie wieder gelöscht hast? Du schienst nachzudenken, bevor sie ausgingen.« »Daran erinnere ich mich, denn ich glaube nicht, daß ich so etwas zuvor schon einmal getan habe. Ich habe die Hitze der Tische genommen und auf die Steine des Kamins geleitet. Bei einem Kamin macht sich diese Hitze kaum überhaupt bemerkbar.«
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