Der Schatten erhebt sich
aufzuspalten und eine Unmenge verschiedener Dinge auf einmal zu tun. Schon allein zwei Ströme auf einmal zu jonglieren war mehr als doppelt so schwer wie bei einem der gleichen Stärke, und bei drei Strömen gleichzeitig potenzierte sich der notwendige Aufwand. Er mußte mindestens ein Dutzend verwoben haben. Und dabei wirkte er nicht einmal müde, obwohl dieser Aufwand an Macht ungeheure Kraft kostete. Sie fürchtete, er könne sowohl sie wie auch Elayne wie die kleinen Kätzchen herumreichen. Hoffentlich nicht wie Kätzchen, die er ertränken wollte, falls er dem Wahnsinn verfiel.
Aber sie wollte und konnte jetzt nicht einfach so gehen. Das würde ein Aufgeben bedeuten, und so etwas lag ihr fern. Sie wollte tun, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte - alles -, und er würde sie nicht kurz vor dem Ziel davonjagen. Weder er noch irgend etwas anderes.
Elaynes blaue Augen blickten ebenso entschlossen drein, und in dem Augenblick, als Egwene mit Sprechen aufhörte, fuhr sie an ihrer Stelle mit noch festerer Stimme fort: »Und wir werden nicht eher gehen, bis wir fertig sind. Du hast gesagt, du wolltest es versuchen. Also mußt du dein Bestes geben, klar?« »Habe ich das wirklich versprochen?« murmelte er nach einer Weile. »Nun, wenigstens könnten wir uns dabei hinsetzen.« Er sah die verkohlten Tischchen oder das auf dem Boden liegende metallische Tuch nicht an, und führte sie statt dessen leicht hinkend zu hochlehnigen Stühlen an den Fenstern hinüber. Sie mußten erst Bücher von den rotseidenen Kissen nehmen, bevor sie sich setzen konnten. Auf Egwenes Stuhl hatte Band zwölf der Schätze des Steins von Tear gelegen, ein staubiges, in Holz gebundenes Buch mit dem Titel Reisen in der Aiel-Wüste, mit verschiedenen Studien der wilden Einwohner dieses Gebiets, und ein dicker, abgegriffener Lederband: Die Politik Tears bezüglich des Territoriums von Mayene, 500 bis 750 NÄ. Elayne mußte einen noch größeren Stapel wegräumen, aber Rand beeilte sich, ihr alles abzunehmen und zusammen mit denen, die auf seinem Stuhl gelegen hatten, auf den Boden zu legen, wo der ganze Stapel prompt umfiel. Egwene legte ihre ordentlich daneben.
»Was wollt ihr mich jetzt machen lassen?« Er saß auf der Stuhlkante und hatte die Hände auf die Knie gelegt. »Ich verspreche euch, daß ich diesmal nur das tue, was ihr wollt.« Egwene biß sich auf die Zunge, um nicht herauszuplatzen, daß es für dieses Versprechen ein bißchen zu spät sei. Vielleicht hatte sie sich zuvor nicht klar genug ausgedrückt, aber das war keine Entschuldigung. Nun, darauf konnte sie ja ein andermal zurückkommen. Ihr wurde bewußt, daß sie in ihm wieder nur Rand sah. Er saß schuldbewußt da, als habe er gerade Schlamm auf ihr bestes Kleid gespritzt und fürchte, sie würde ihm nicht glauben, daß es aus Zufall geschehen war. Aber sie hatte Saidar inzwischen nicht losgelassen, genau wie Elayne. Besser war besser. »Diesmal«, sagte sie, »wollen wir lediglich, daß du erzählst. Wie berührst du die Quelle? Berichte einfach. Aber langsam, Schritt für Schritt.« »Mehr ein Ringkampf als eine Berührung.« Er grollte ein wenig. »Schritt für Schritt? Na ja, zuerst stelle ich mir eine Flamme vor und dann schiebe ich alles da hinein: Haß, Furcht und Nervosität. Alles. Wenn alles von der Flamme verschlungen ist, ist in meinem Kopf eine Leere, ein Nichts. Ich befinde mich im Zentrum, aber ich bin gleichzeitig auch ein Teil dessen, worauf ich mich konzentriere.« »Das klingt vertraut«, sagte Egwene. »Ich habe gehört, wie dein Vater von einer Konzentrationsübung sprach, die er verwendet, um jedesmal die Wettbewerbe im Bogenschießen zu gewinnen. Was er die Flamme und das Nichts nennt.« Rand nickte - ein wenig traurig, wie es schien. Sie glaubte, daß er seine Heimat und seinen Vater sehr vermißte. »Tam hat es mir zuerst beigebracht. Und Lan benützt es genauso bei dem Schwert. Selene - die habe ich mal kennengelernt - nannte es das Einssein. Eine Menge Leute scheinen es zu kennen, wenn sie auch verschiedene Ausdrücke dafür verwenden. Aber ich habe selbst herausgefunden, daß ich Saidin berühren konnte, wenn ich mich im Nichts befand. Es war wie ein Licht gerade jenseits meines Gesichtsfeldes mitten in der Leere. Es gibt da nichts außer mir und dem Licht. Gefühle, selbst Gedanken, befinden sich außerhalb. Früher mußte ich mir eines nach dem anderen erringen, doch nun kommt es wie von selbst in einem Augenblick. Jedenfalls das meiste.
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