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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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zurück. »Viel zu spät. «
SCHLAFLOSE NACHT
    Jim konnte nicht schlafen.
Mackinnon schnarchte leise auf dem Feldbett neben der
Tür --- und brachte einmal mehr Jim gegen sich auf. Jim
hätte ihm am liebsten einen Stiefel an den Kopf
geworfen. Wie sich dieser Mann breit machen konnte!
Zugegeben, er hatte beim Kampf mit den beiden Gorillas
einen entscheidenden Punkt gemacht --- aber war das ein
Grund, jetzt hier loszuschnarchen? Jim lag wach und
fluchte. Teils war freilich auch Lady Mary schuld an
Jims Schlaflosigkeit. Dieser Kuss... Und dann die
Gewissheit, dass ein so bezaubernder Augenblick nie
wieder kommen würde. Seine Gefühle für sie quälten
ihn. Wie konnte sie nur dieses schnarchende schottische
Gespenst... Bloß nicht daran denken, es war
hoffnungslos. Teils war es auch der Schmerz von der
Schnittwunde an der Wange. Was der Arzt mit der
Wunde gemacht hatte, konnte er sich nicht recht
vorstellen, auf jeden Fall arbeitete und brannte es darin,
dass er am liebsten losgeheult hätte. Das Einzige, was
den Schmerz linderte, war die Erinnerung an den Schlag,
mit dem er Harris aus den Pantinen gekippt hatte.
    Teils war es noch etwas anderes. Irgendetwas war nicht
in Ordnung. Nachdem er den ganzen Abend darüber
gegrübelt hatte, schien er schließlich zu wissen, woher
sein Unbehagen rührte. Es kam von den Malern. Es war
nicht bloß, dass sie ihm fremd waren --- sie sahen
irgendwie auch gar nicht wie Maler aus. Sie hatten das
richtige Werkzeug und die richtige Kleidung, aber
ansonsten schienen sie nur Sachen hin und her zu tragen
und darauf zu warten, dass er verschwand. Irgendetwas
war da faul.
    Ein blöder Fall, mit dem sie sich da abplagten. Wer
würde sie überhaupt bezahlen? Wer würde ihnen dafür
danken, alles aufgeklärt zu haben. Welche hochherzige
Regierung würde ihnen Orden an die Brust heften und sie
für ihre Mühen entschädigen? Der Teufel hole Bellmann,
Wytham, Mackinnon und das ganze Pack. Mittlerweile
war er hellwach. Und mit den Nerven so herunter, als
ahnte er, dass irgendwo im Zimmer eine Bombe mit
Zeitzünder versteckt sein musste, ohne sie finden zu
können. Alle seine Sinne waren übernatürlich gereizt:
Mackinnons Atemgeräusche sägten an seinen Nerven, die
Bettdecke war ihm zu heiß, das Kissen zu hart für seine
Wange. Es hatte keinen Zweck. Er würde diese Nacht
nicht mehr einschlafen.
    Er schwang die Beine aus dem Bett und fischte nach
seinen Pantoffeln. Er wollte nach unten gehen, sich in die
Küche setzen, einen Tee trinken und ein bisschen
schreiben. Mackinnon regte sich auf dem Feldbett, als
Jim über ihn hinwegstieg. Jim sagte ihm beiläufig, was er
von ihm, von Zauberkünstlern und von Schotten im
Allgemeinen halte. Er nahm seinen Morgenmantel vom
Haken neben der Tür und ging hinaus auf den
Treppenabsatz. Er schloss vorsichtig die Tür hinter sich und schnüffelte. Irgendetwas lag in der Luft. Er ging ans
Treppenfenster, das auf den Hof hinausging, und zog den
Vorhang weg. Der Hof stand in Flammen.
    Ungläubig stand er da und rieb sich die Augen. Den
neuen Atelieranbau gab es nicht mehr, an seiner Stelle
schlugen Flammen in die Höhe, und alles Holz im Hof die Bretter, Leitern und Schubkarren - brannte ebenfalls.
Während er noch schreckensstarr hinunterschaute, sah er
die Hintertür aufgehen und Flammen aus dem Innern des
Gebäudes schlagen...
    Mit drei Schritten war er vor Fredericks Zimmer. Er riss
die Tür auf und schrie »Feuer! Feuer!«.
Das Zimmer war leer. Er sprang zur Treppe ins oberste
Stockwerk: »Feuer! Aufwachen! Feuer!«
Dann lief er hinunter zu Websters und Sallys Zimmern
im ersten Stock.
Frederick hörte Jims Rufen und setzte sich sofort auf.
Sally, die neben ihm im schmalen Bett lag, schreckte
ebenfalls aus dem Schlaf hoch.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Jim -«, sagte er nur, zu Hemd und Hosen greifend. »Es
scheint zu brennen - steh auf, Liebes, rasch. «
Er machte die Tür auf, als Jim die Treppe
heruntergesaust kam. Jim war verdutzt, ihn aus Sallys
Zimmer kommen zu sehen, sagte aber nichts.
Jim hämmerte an Websters Tür. »Schlimme Nachricht,
Webster!«, rief er ins Zimmer hinein. »Es brennt! Das
neue Atelier steht in Flammen, und die Küche, glaube
ich, auch... « »Jim«, sagte Frederick. »Renn nach oben
und sorge dafür, dass Ellie und die Köchin so rasch wie
möglich runterkommen - oh, und auch Miss Meredith. Ist
Mackinnon wach? Bring sie alle hierher in den ersten
Stock. «
Es gab nur die eine Treppe, die über eine Tür

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