Der Schatten im Wasser
gebeugt, doch hielt er sie nicht mehr fest. Es rasselte und pfiff auf beängstigende Weise in seinem Brustkorb. Ariadne versuchte sich zu befreien, erst vorsichtig und dann mit einem starken Ruck, sodass er von ihr herunterrollte und mit dem Kopf auf dem Steinboden aufschlug. Doch er reagierte nicht.
Jede Faser ihres gepeinigten Körpers war in Mitleidenschaft gezogen und schmerzte. Unter größter Anstrengung kam sie auf die Beine, hielt sich am Tisch fest, blieb dort stehen und schwankte ein wenig, das gesamte Blut war aus ihrem Kopf gewichen, und schwarze kleine Punkte tanzten vor ihren Augen, danach die Sirenen, die lauter und lauter wurden.
Christa saß immer noch mit dem Telefon im Schoß auf dem Fußboden. Ihre Augen waren geschlossen. Die dunklen Wimpern zeichneten sich wie Wunden gegen ihre leichenblassen Wangen ab. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß.
»Christa«, flüsterte sie. »Liebstes, liebstes Kind …«
Dann bog der Krankenwagen in ihre Einfahrt, Bremsen quietschten, und Autotüren wurden aufgerissen. Ein wildes Signal an der Türklingel.
Christa wandte Ariadne das Gesicht zu, immer noch mit geschlossenen Augen.
»Jetzt wird alles gut, Christa«, sagte sie. »Alles wird gut.«
Vorsichtig stieg sie über das Mädchen, ging zur Tür und öffnete sie:
»Er liegt in der Küche, beeilen Sie sich!«
Sie fragten, ob sie mitwolle. Falls ja, musste sie unmittelbar ins Auto springen. Sie waren so jung. Einer von ihnen stellte sich dicht neben sie:
»Aber was ist denn mit Ihnen passiert, Sie sehen aus, als wären Sie auch …?«
»Nein«, rief sie aus, »fahren Sie jetzt mit ihm los, schnell!«
Sie hatten Tommy auf eine Trage gehoben und stürmten nun mit ihr zum Krankenwagen. Unterwegs wären sie beinahe über all die in der Diele verstreuten Sachen gestolpert, und einer der Männer hatte einen Fluch ausgestoßen.
Sie stand mit bloßen Füßen im feuchten Kies.
»Wir müssen jetzt fahren, kommen Sie mit?«
»Nein.«
»Okay.«
»Ich kann meine Tochter nicht allein lassen, sie ist behindert.«
Der Mann sprang auf den Fahrersitz.
»Okay. Dann werden wir Sie benachrichtigen.«
Sie blieb noch eine Weile stehen und sah das rotierende Blaulicht auf der Straße hinter dem Feld verschwinden.
Sie ging ins Haus zurück und räumte auf. Beförderte alle Essensreste in einen Müllbeutel und warf ihn draußen in den Mülleimer. Ihr Gehirn war leer, sie handelte rein mechanisch. Sie spülte, stellte alle Stühle wieder an ihren Platz, wischte den Tisch ab und legte eine Decke auf, die sie einmal von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Sie war von einer Nachbarsfrau in ihrem Heimatdorf gewebt und bestickt worden.
Christa war in ihr Zimmer verschwunden. Ariadne wollte gerade zu ihr gehen, als das Telefon klingelte. Sie hob den Hörer ab.
»Ja?«, meldete sie sich mit flüsternder, kaum hörbarer Stimme, sodass sie es noch einmal sagen musste, während sich ihr der Magen umdrehte, als müsse sie sich jeden Augenblick übergeben.
Eine weit entfernte Männerstimme. Sie wollte sich setzen, aber der Stuhl war verschwunden, der Stuhl, der sonst immer in der Diele stand, jetzt entdeckte sie ihn, einer der Krankenpfleger hatte ihn ins Wohnzimmer gestellt, um den Weg freizumachen.
»Hallo!«, rief die Stimme. »Frau Jaglander, hören Sie mich?«
»Ja, doch, ich höre.«
»Ariadne Jaglander, sind Sic das?«
»Ja.«
»Hier spricht Dick Skott, ich bin Arzt hier in der Notaufnahme des Krankenhauses. Wir haben vor einer Weile Ihren Mann Tommy eingeliefert bekommen.«
»Ja«, entgegnete sie atemlos.
Es wurde für ein paar Sekunden still. Dann hörte sie die Stimme erneut.
»Es tut mir leid, Ariadne, es ist nicht gut ausgegangen.«
Sie schnappte nach Luft.
»Wie bitte?«, fragte sie tonlos.
»Ariadne, es tut mir wirklich unsagbar leid, Ihnen diesen Bescheid übermitteln zu müssen. Aber wir … haben Tommy nicht retten können. Wir haben alles versucht, aber es war zu spät.«
In dem Moment fiel sie, glitt mit dem Rücken an der Wand entlang abwärts, krümmte sich wie ein Embryo zusammen. Sie hielt den Hörer mit ihrer Hand umklammert.
»Hallo!«, rief der Arzt, er sprach genauso wie einer von Tommys Kollegen bei der Polizei, ein Mann, der aus Skåne kam und der auch auf ihrer Hochzeit gewesen war.
»Ich bin hier«, antwortete sie mit belegter Stimme.
»Anaphylaktischer Schock«, fuhr der Arzt fort. »So nennt man es, wenn man extrem überempfindlich auf etwas reagiert, wie Ihr Mann es getan
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