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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Ratten anlocken. Bis jetzt hatte sie allerdings unbescholten weitermachen dürfen, ist es etwa normal für ein Lebewesen, bei so einer Kälte draußen sein zu müssen? Wenn sie so redete, musste er manchmal lachen, dann leuchtete sein altvertrauter sanfter Gesichtsausdruck wieder auf, und zwischen seinen Augenwimpern glitzerte es.
    »Hallo«, rief sie, wobei ihre Stimme matt und gedämpft klang, was sie nicht beabsichtigte, also richtete sie sich auf und rief erneut: »Ich bin jetzt zu Hause, hallo!«
     
    Christa lag nur mit Unterwäsche bekleidet auf dem Bett in ihrem Zimmer. Ihr teigiger Bauch quoll hervor, der BH war schmuddelig und ausgeleiert. Sie hatte das eine Bein über das andere geschlagen und wippte mit dem Fuß.
    »Christa?«, rief Ariadne. »Mama ist wieder zu Hause. Ich bin etwas spät dran.«
    Die Tochter reagierte nicht. Als Ariadne sich über sie beugte, entdeckte sie den Discman. Sie legte ihre Hand auf Christas Fuß. Das Mädchen fuhr auf und riss sich die Kopfhörer herunter.
    »Mama?«
    »Ja, Liebes. Mama ist da. Ich bin wieder zu Hause.«
    »Gibt es was zu essen?«
    »Ich muss nur die Kartoffeln kochen. Dann. Dann ist es so weit.«
    Mit unerwarteter Geschmeidigkeit kam das großgewachsene Mädchen auf die Beine. Ariadne reichte ihr ein T-Shirt, das auf dem Boden lag. Als sie sich danach bückte, fühlte es sich an, als verschiebe sich ihr Gehirn innerhalb des Schädels.
    »Puh, ist es warm«, sagte sie angestrengt. »Obwohl es Abend ist, ist es immer noch so heiß. Eigentlich müsste man rausgehen und ein erfrischendes Bad nehmen.«
    Der Badestrand lag nur fünf Minuten entfernt, doch sie waren lange nicht mehr dort gewesen. Als kleines Kind hatten sie Christa am Ufer plantschen lassen, doch all das Nasse, das nicht greifbar war und das sie nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht fangen konnte, mochte sie nicht sonderlich. Als ein Junge von ungefähr fünf Jahren direkt neben ihr ins Wasser sprang und sie nass spritzte, bekam sie so etwas wie einen Asthmaanfall. Tommy war damals dabei gewesen. Er war dem Jungen hinterhergesprungen, hatte ihn an den Schultern gepackt und ihn so stark geschüttelt, dass sein Kopf vor- und zurückschleuderte. Es sah grotesk aus, Whiplash, musste Ariadne denken, Schleudertrauma.
    Sie schälte einige Kartoffeln und ließ Wasser in einen Topf laufen. Öffnete die Dose mit Schinken und schnitt sich dabei am Deckel. Ein Blutstropfen fiel auf den Schinken, wurde aufgesaugt und hinterließ einen dunklen, gezackten Fleck.
    »Eisen«, murmelte sie in ihrer Heimatsprache und registrierte, wie sie kurz auflachte, »nur eine gesunde Eisenzufuhr.«
    Christa saß jetzt am Tisch mit einer schwermütigen Miene, sie schob die Oberlippe hoch, sodass ein Teil ihrer oberen Zahnreihe sichtbar wurde. Auf ihrem Kinn spross ein Pickel.
    »Er ist weggegangen«, sagte sie.
    Ariadne zuckte zusammen.
    »Was?«
    »Erst war er zu Hause, aber dann ist er gegangen.«
    »Papa?«
    »Mhm.«
    »Ich mach jetzt Essen, bald es ist fertig. Hast du Hunger, Liebes? Wir können gleich essen.«
    Das Wasser an der Topfunterseite zischte, als es mit der Platte in Berührung kam, der Geruch nach Verbranntem. Sie nahm einen Lappen und begann, die Spüle abzuwischen, dann den Herd und schließlich die Lampe, die über dem Esstisch hing. Eine schmierige Fettschicht, wie konnte sie die nur übersehen, sie spülte den Lappen unter frischem Wasser und wrang ihn aus, blickte auf ihre Hand und die weiß weidenden Knöchel, spürte den Schnitt, und dann ging die Tür auf, und er war da.

HANS PETER LAS gerne im Hotel, wenn sich die Gäste auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten, und es ruhig geworden war. Auf dem Regal in der Portierloge hatte er einen Stapel Bücher liegen, die nunmehr glücklicherweise in Ruhe gelassen wurden und nicht mehr mit klebrigen Fingerabdrücken von Kindern übersät waren. Blinden Kindern. Solche, die sich vorwärts tasten und ihre Finger anstelle der Augen benutzen mussten. Er streckte sich auf der Pritsche aus und richtete den Tischventilator so aus, dass er ihm genau in den Hemdkragen blies. Oh, wie angenehm!
    Gerade befasste er sich mit einem alten französischen Klassiker, Briefe aus meiner Mühle von Alphonse Daudet. Er hatte erst ein paar Kapitel geschafft, doch er mochte die Art, wie der Autor die provenzalische Landschaft beschrieb, und nach und nach war eine Idee in ihm geboren:
    Wir fahren hin. Ich werde Justine auf eine Wochenendreise mitnehmen.
    Er hatte schon früher versucht,

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